Erster Weltkrieg und
    Besatzung 1918-1930
    in Rheinland-Pfalz

    Die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf das lokale Unternehmensgefüge der Pfalz am Beispiel der Stadt Kaiserslautern

    Grundlage der Präsentation war ein Ausstellungsprojekt zu den Folgen des Ersten Weltkrieges und der anschließenden französischen Besatzung für die Stadt Kaiserslautern, welches derzeit von Stadtarchiv und Stadtmuseum Kaiserslautern für das Jahr 2018 geplant und vorbereitet wird. Basierend auf dieser Planung und der damit verbundenen Forschungsarbeit, lagen zum Zeitpunkt der Tagung des Historischen Vereins der Pfalz in Pirmasens bereits erste Ergebnisse vor. Insbesondere im Bereich der Auswirkungen des Krieges auf die Unternehmenslandschaft der Stadt gab es zu diesem Zeitpunkt interessante Erkenntnisse, die dem Publikum der Tagung präsentiert werden konnten.

    Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Krieg und Besatzung sollen innerhalb der Ausstellung einen Schwerpunkt bilden, wobei insbesondere auch die Folgen für kleinere und kleinste Betriebe Beachtung finden werden.

    Adressbuch Kaiserslautern 1913/14

    Um zunächst einen Überblick über die rein zahlenmäßige Entwicklung der Gewerbetreibenden in Kaiserslautern während des Betrachtungszeitraumes zu erlangen, wurden die im Stadtarchiv erhaltenen Adressbücher herangezogen. Diese enthalten jeweils ein auf polizeilichen Feststellungen basierendes Verzeichnis der Gewerbetreibenden in der Stadt. Für die Zeit des Ersten Weltkrieges sind hier vor allem die Bücher von 1913/14 (Redaktionsschluss Oktober 1913)[Anm. 1] und 1920/21 (Redaktionsschluss Oktober 1920)[Anm. 2] von Bedeutung. Sie zeigen die Situation ein Jahr vor dem Ausbruch und etwa zwei Jahre nach Ende des Krieges auf. In den Jahren dazwischen wurden aufgrund der Kriegssituation keine weiteren Adressbücher herausgegeben.

    Einen ersten Hinweis auf die teilweise gravierenden Folgen des Krieges für die Unternehmer der Stadt liefert bereits das Vorwort des Adressbuches 1920/21:

    „Zwar sind wir Gott sei Dank von unmittelbarer Kriegsnot verschont geblieben, weil die feindlichen Truppen bei ihrem Einrücken nach abgeschlossenem Waffenstillstand nicht als gegen uns kämpfende Krieger in unsere Stadt einzogen, aber das ganze Erwerbs- und Wirtschaftsleben der alten Barbarossastadt hat doch in den letzten Jahren schlimme Zeiten durchgemacht.“[Anm. 3]

    Adressbuch Kaiserslautern 1920/21

    Konkret greifbare Folgen finden sich sehr schnell beim direkten Vergleich der Gewerbeverzeichnisse beider Ausgaben. Eine große Zahl von Unternehmern, die 1913 noch genannt wurden, sind in der Ausgabe 1920/21 nicht mehr vorzufinden. Dies ist selbstverständlich teilweise durch den natürlichen Wechsel bedingt, aber in vielen Fällen ist der Wegfall von Einträgen eindeutig auf den Krieg und seine Auswirkungen zurückzuführen. Die Einflüsse des Krieges auf die Unternehmen der Stadt gestalteten sich dabei sowohl direkt als auch indirekt.

    Als direkten Einfluss sind insbesondere die Luftangriffe des Jahres 1918 zu nennen. Aber auch der Tod an der Front oder im Lazarett führten oftmals dazu, dass ein Geschäft schließen musste, oder ein Betrieb nicht mehr weitergeführt werden konnte.

    Die Gaststätte „Eisenbähnle“ in der Eisenbahnstraße 68 nach dem Luftangriff vom 14.09.1918[Bild: StA Kaiserlautern]

    Ein deutliches Beispiel hierfür ist das Schicksal des Lokals „Eisenbähnle“ in der Eisenbahnstraße. 1913 wurde die Wirtschaft noch in der Eisenbahnstraße 68 aufgeführt.

    Am 19. April 1917 starb dann der Inhaber Johann Münch nach einer Verwundung als Soldat im Kriegslazarett.[Anm. 4] Der Fortbestand des Lokals hätte evtl. von den verbleibenden Familienmitgliedern gesichert werden können. Jedoch traf am 14. September 1918, nur etwa zwei Monate vor Kriegsende, ein zweiter Schicksalsschlag das Familienunternehmen. Durch einen Volltreffer während eines britischen Luftangriffs wurde das Wirtschaftsgebäude total zerstört, woraufhin im Adressbuch von 1920/21 die Eisenbahnstraße 68 nur noch als „unbewohnt“ geführt wird. Ein anderer Inhaber betrieb an selber Stelle zwar später wieder eine Wirtschaft[Anm. 5], die Familie Münch war jedoch offensichtlich nicht mehr in der Lage, den Betrieb fortzusetzen.

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    Ausgebranntes Produktionsgebäude der Möbelfabrik „Berenz“ nach dem Fliegerangriff vom 07.07.1918[Bild: StA Kaiserslautern]

    Ein weiteres anschauliches Beispiel ist das Schicksal der ehemaligen Möbelfabrik Berenz in der Industriestraße. Auch diese Firma taucht im Adressbuch 1920/21 nicht mehr auf, nachdem sie in Folge eines Bombentreffers am 07.07.1918 vollständig ausgebrannt war. Die genannten Fälle zeigen, dass sowohl kleine, als auch größere Betriebe betroffen waren.

    Insgesamt betrachtet fällt auf, dass bei einer annähernd gleich bleibenden Bevölkerungszahl (1914: 57.826, 1920: 56.282)[Anm. 6] die Anzahl der Einträge im Gewerbeverzeichnis von 1913/14 (4.543) im Vergleich zu 1920/21 (4.138) um über 400 sinkt. Die Anzahl der Gewerbetreibenden in der Stadt scheint also in einem Zeitraum von nur 7 Jahren um beinahe 10% gesunken zu sein.

    Gewerbeverzeichnis-Einträge der Adressbücher 1913/14 und 1920/21 im Vergleich[Bild: Aulenbacher]

    Eine genauere Betrachtung einzelner Gewerbesparten zeigt, dass die Auswirkungen auf verschiedene Branchen teilweise sehr unterschiedlich waren. So sank beispielsweise die Zahl der Milchhändler von 61 auf 27, die Zahl der Manufakturwarenhandlungen blieb gleich, während sich die Anzahl der Zigarrenfabriken von 13 auf 52 erhöhte.

    Auch eine über den reinen Vergleich der Betriebszahl hinausgehende Analyse liefert interessante Ergebnisse. Fragt man danach, wie viele Betriebe aus der Vorkriegszeit im Verzeichnis von 1920/21 noch genannt werden, so ergibt sich auch hier ein sehr heterogenes Bild.

    Entwicklung der Adressbucheinträge von Zigarrenfabriken von 1913/14 bis 1934 [Bild: Aulenbacher]

    Im Falle der Eier-, Butter- und Käsehandlungen sind von den 54 Einträgen im Jahre 1913 unter den 6 Betrieben des Jahres 1920 gerade einmal noch 3,7% verblieben, während unter den von 3 auf 10 angewachsenen Papierfabriken alle 3, also 100% der Vorkriegsunternehmen noch existieren. Greift man nun das Beispiel der Zigarrenfabriken heraus, lassen sich daran sehr deutlich die Einflüsse des Krieges auf die Unternehmenslandschaft erkennen. Die Zunahme der Gewerbeanzahl liegt hier bei 300% innerhalb von 7 Jahren. Die Ursachen hierfür sind vielschichtig. Für die Zeit während des Krieges sind aber insbesondere zwei Entwicklungen ausschlaggebend.

    Die Hauptursache war die sehr stark ansteigende Nachfrage nach Zigarren (und anderen Tabakwaren), um sie als sog. „Liebesgaben“ den Soldaten an der Front zuzusenden. Diese Liebesgaben waren kleine Geschenke, die den Soldaten nicht nur an Weihnachten, sondern während des gesamten Jahres, sowohl als materielle, insbesondere aber auch als moralische Unterstützung an die Front gesandt wurden.

    Gleichzeitig waren durch das Kriegsgeschehen praktisch keine Importe von hochwertigen Rohstoffen aus dem Ausland mehr möglich, was zwar den größeren, alteingesessenen Betrieben zu schaffen machte, im Gegenzug aber der Entstehung von kleinen Unternehmen mit billigem Produktsortiment Vorschub leistete. Die große Nachfrage nach Zigarren bzw. Tabak wird daran deutlich, dass man regelmäßig neben anderen Sammelaktionen auch sog. „Tabaktage“ ausrichtete. So heißt es in diesem Zusammenhang z.B. in einem Aufruf des Roten Kreuzes:

    „Die Liebesgabe, die von unseren tapferen Soldaten am heißesten begehrt wird, ist der Tabak. Jeder Mann, der Raucher ist, weiß, was die Zigarre, Zigarette oder ein Pfeifchen Tabak bei angestrengter Arbeit bedeutet. Der Tabak hilft über Abspannung, Hunger und Durst, über seelische Depressionen hinweg, denen unsere Soldaten im Felde in besonderem Maße ausgesetzt sind. Darum der Ruf nach Tabak in jedem Brief, der in die Heimat gelangt.“[Anm. 7]

    Arbeiterinnen im Fabriksaal der Zigarrenfabrik Schmalenberger.

    [Bild: StA Kaiserslautern]

    Nach dem Waffenstillstand und dem Ende des Krieges wurde die Entwicklung zusätzlich durch den Wegfall der Zwangsbewirtschaftung und das zunächst bestehende sog. „Loch im Westen“ befeuert. All diese Faktoren führten zu dem starken Anstieg der Betriebszahl bei den Zigarrenfabriken. Bezieht man nun die Adressbücher der folgenden Jahre mit in die Betrachtung ein, zeigt sich, dass dieser Höhenflug der Branche nur von kurzer Dauer war und die Zahl der Unternehmen nach dem Höhepunkt Anfang der Zwanzigerjahre gegen Ende des Jahrzehnts sogar unter das Vorkriegsniveau absank.

    Dies war einerseits auf das Absinken der Nachfrage zurückzuführen, lag aber auch in der Schließung der Zollgrenzen begründet und lässt sich deutlich an der Entwicklung der Mitarbeiterzahlen von Unternehmen der Tabakbranche ablesen.[Anm. 8] Diese waren beispielsweise bei der alteingesessenen Kaiserslauterer Zigarrenfabrik Schmalenberger während des Betrachtungszeitraumes starken Schwankungen unterworfen. Hatte die Firma 1905 noch 160 Mitarbeiter, so war die Zahl der Angestellten bis 1915 auf 552 angewachsen. Dies entspricht einer Zunahme von annähernd 200% in zehn Jahren.

    Kurz nach dem Ende des Krieges (1919) war die Zahl der Mitarbeiter infolge des Rohstoffmangels und der massenhaften Billig-Konkurrenz in der Stadt bereits wieder auf 300 Mitarbeiter gesunken.

    Im weiteren Verlauf des Projektes wird zunächst der zeitliche Rahmen der Betrachtung bis zum Ende der französischen Besatzung 1930 ausgedehnt werden, um anschließend in die Auswertung und die Einordnung des Zahlenmaterials zu gehen.

    Für die Nachkriegszeit ergeben sich insbesondere durch die militärische Besetzung der Stadt, aber auch durch die Separatistenbewegung und Inflation ganz neue Bedingungen, deren Auswirkungen auf die Unternehmenslandschaft es ebenfalls im Detail zu ergründen gilt.

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    Dieser Aufsatz beruht auf einer Projektvorstellung im Rahmen der Tagung „Grenzraum als Erfahrungsraum – Der Erste Weltkrieg in der Pfalz und den Nachbarregionen Baden - Saar - Elsass - Lothringen“ am 25.09.2015 in Pirmasens.

    Erstellt am: 18.12.2015

    Red. Bearb KT

    Anmerkungen:

    1. Adreßbuch der Stadt Kaiserslautern. XX. Ausgabe 1913/14. Zurück
    2. Adreßbuch der Stadt Kaiserslautern. XXI. Ausgabe 1920/21. Zurück
    3. Ebd. Zurück
    4. Vgl. Pfälzische Volkszeitung vom 20.04.1917. Zurück
    5. Vgl. Adreßbuch der Stadt Kaiserslautern. XXII. Ausgabe 1925/26, S. 74. Zurück
    6. Christmann, Ernst / Friedel, Heinz: Kaiserslautern einst und jetzt. Kaiserslautern 1976, S. 328 f. Zurück
    7. Aktenbestand 3, Stadtarchiv Kaiserslautern, A03/0960. Zurück
    8. Vgl. Munzinger, Albert: Entwicklung der Industrie von Kaiserslautern. Kaiserslautern 1921, S. 94. Zurück