Erster Weltkrieg und
    Besatzung 1918-1930
    in Rheinland-Pfalz

    Die Gründung der Pfälzischen Landesbibliothek Speyer im Jahr 1921

    Vom kulturellen Kampf gegen die Besatzungsmacht bis zur Landesbibliothek für die Pfalz

    Die Kurpfalz war eines der wenigen Territorien, das in der napoleonischen Zeit, im Jahr 1803, aufgelöst wurde. Der rechtsrheinische Teil fiel an Baden und der linksrheinische Teil wurde in das französische Staatsgebiet integriert, wo er bis zum Fall Napoleons verblieb. Diese staatliche Neuordnung bedeutete für die linksrheinische Pfalz die Abtrennung von den ursprünglichen kurpfälzischen kulturellen Zentren Heidelberg und Mannheim mit ihren Bibliotheken. Nach den Verwüstungen und Bibliotheksvernichtungen im Zuge des Pfälzischen Erbfolgekriegs existierten links des Rheins lediglich noch kleinere Büchersammlungen wie die Gymnasialbibliotheken in Speyer und Zweibrücken.[Anm. 1]

    Magazin der Pfälzischen Landesbibliothek in der Johannesstraße[Bild: LBZ / Pfälzische Landesbibliothek]

    Mit dem Wiener Kongress fiel die linksrheinische Pfalz an Bayern, ohne dass dorthin eine Landverbindung bestand. Nachdem zwei Initiativen in den Jahren 1825 und 1872/73 fehlgeschlagen waren, die auf die Gründung einer pfälzischen Kreisbibliothek abzielten, folgten Anfang des 20. Jahrhunderts weitere, unter anderem vom Historischen Verein der Pfalz und dem Literarischen Verein der Pfalz unterstützte Versuche. Im April 1918 entstand ein Ausschuss zur Schaffung einer pfälzischen Kreisbibliothek, bei dem die Leiter beider Vereine eine tragende Rolle spielten.[Anm. 2] Entscheidend für die Gründung der späteren Pfälzischen Landesbibliothek war die Besetzung der linksrheinischen Pfalz durch französische Truppen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Die neuen Machthaber arbeiteten auf einen Anschluss des linksrheinischen Gebiets an Frankreich mittels der sogenannten pénétration pacifique auf kulturellem Gebiet einerseits und durch die Förderung „separatistischer“ Bestrebungen andererseits hin.[Anm. 3] Bereits im Sommer 1919 stellte die bayerische Regierung eine finanzielle Unterstützung für die von Frankreich besetzte Pfalz in Aussicht. Der dann im August 1919 verabschiedete Pfälzische Hilfsfonds sollte auch der Schaffung einer Kreisbibliothek zugutekommen.[Anm. 4]

    In der Folge entsandte die Bayerische Staatsbibliothek in München den Oberbibliothekar Georg Reismüller (1882-1936), der in einem ersten Schritt die in der Pfalz bereits bestehenden kleineren Bibliotheken inspizierte. Im Gegensatz zu den pfälzischen Bestrebungen, diese Sammlungen lediglich zu vereinigen, und auch in Abgrenzung von den bayerischen Kreisbibliotheken, die durch chronische Unterernährung gekennzeichnet seien, schlug er die Gründung einer professionell geleiteten Universalbibliothek in Speyer vor.[Anm. 5] Die Grundlage hierzu bildete dann Reismüllers ‚Bericht über die Bibliotheksverhältnisse der Pfalz und Denkschrift über die Schaffung einer pfälzischen Kreisbibliothek‘ vom 20. Juni 1920. Eine Eingabe an die bayerische Regierung vom Juli 1920 bezeichnete die Gründung einer Bibliothek als Notwendigkeit für den Wiederaufbau des geistigen und wirtschaftlichen Lebens der Pfalz. Die Errichtung der Pfälzischen Landesbibliothek auf der Basis einer von Reismüller erarbeiteten Satzung wurde am 15. Februar 1921 in einer Kreistagssitzung beschlossen und in der Folge auch vom französischen General Adalbert de Metz, dem Oberkontrolleur für die Pfalz in Speyer, genehmigt. Die neue Einrichtung unterstand der Fachaufsicht der Bayerischen Staatsbibliothek in München, und Georg Reismüller wurde erster Direktor.[Anm. 6]

    Ansicht der Pfälzischen Landesbibliothek, Holzschnitt 1925[Bild: LBZ / Pfälzische Landesbibliothek ]

    Nach einer Zwischenlösung in der Ludwigstraße fand die Pfälzische Landesbibliothek 1935 ihren langfristigen Standort im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Tabakfabrik Wellensiek & Schalk in der Johannesstraße. Als Grundausstattung dienten die Büchersammlungen des Historischen Vereins der Pfalz sowie des Literarischen Vereins der Pfalz; hinzu kamen Spenden unter anderem von deutschen Verlagen auf der Grundlage ihrer nationalen Einstellung. Bei den Buchkäufen wurde nicht nur Pfalzliteratur erworben, sondern mit Philosophie, Literatur, Geschichte, Kulturgeschichte, Länderkunde, Recht, Wirtschaft, Naturwissenschaft und Technik ein Fächerspektrum angeschafft, das in den kleineren pfälzischen Bibliotheken mit ihren teils veralteten Beständen bisher gar nicht oder nur schlecht vertreten war. 1922 konnte Reismüller auf dem Bibliothekartag in Kassel berichten, dass die Pfälzische Landesbibliothek bereits etwa 13.000 Bände aus eigenen Mitteln erworben habe. Für die neue Einrichtung hatte der Pfälzische Hilfsfonds eine halbe Million Mark zur Verfügung gestellt.[Anm. 7]

    Zum politischen Hintergrund der Bibliotheksgründung führte Reismüller in Kassel aus, sie sei erst aus der Not des deutschen Zusammenbruchs und der feindlichen Besetzung geboren worden. Es war der nationale Auftrieb, so Reismüller weiter, der den alten Gedanken wieder zur Oberfläche brachte und angesichts der den Ländern am Rhein drohenden politischen und kulturellen Gefahren immer mehr erstarken ließ.[Anm. 8] Ein wichtiger Förderer der Gründung der Pfälzischen Landesbibliothek war der aus der Pfalz stammende Jurist und der Bayerischen Volkspartei nahestehende Politiker Franz Matt (1860-1929),Deutsche biographische Enzyklopädie (DBE), 2. Aufl., hrsg. von Rudolf Vierhaus, Bd. 6, München 2006, S. der von 1920 bis 1926 als bayerischer Kultusminister amtierte. Er würdigte die neue Einrichtung in Abgrenzung von der französischen Politik als Rüstkammer deutschen Schrifttums am Rheine, der „Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze“ sei, in dem der Nibelungenhort vaterländischen Kulturwillens ruhe. Die Bibliothek sei ein Bollwerk deutschen Geisteslebens an der „Herzader der deutschen Nation“.[Anm. 9]

    Lesesaal der Pfälzischen Landesbibliothek, 1923[Bild: LBZ / Pfälzische Landesbibliothek]

    Große Bedeutung hatte aus politischer Sicht auch die Tatsache, dass Reismüller im Nebenamt als Vorsitzender der Beratungsstelle für das volkstümliche Bücherwesen amtierte, für die kleineren und größeren öffentlichen Bibliotheken. Der Journalist und Leiter des ‚Pfälzischen Verbandes für freie Volksbildung‘ Franz Hartmann (1886-1944)[Anm. 10] hob hervor, dass die Gründung der pfälzischen Landesbibliothek ein segensreiches Mittel zur Förderung und Vereinheitlichung des pfälzisch-deutschen Kulturlebens in tiefer vaterländischer Not sei. Das öffentliche Bibliothekswesen der Pfalz kämpfe gegen Schundschriften und gegen Bücher, die sich am gesunden Kern des Volkes versündigen. Zu unterstützen seien dagegen die Menschen, denen der Glaube an Volk und Heimat trotz allem Elend und allen Gefahren, die es zu überwinden gilt, nicht aus dem Herzen zu reißen sei.[Anm. 11] Trotz ihrer ursprünglich politischen Zweckbestimmung, nämlich der Abwehr französischer annexionistischer Tendenzen, entwickelte sich die Pfälzische Landesbibliothek, die vor allem von der Bayerischen Volkspartei nahestehenden Politikern und Honoratioren gefördert wurde, zu einer vergleichsweise normalen wissenschaftlichen Einrichtung ihrer Art. 1927 benannte Reismüller auf dem Bibliothekartag in Dortmund als politisch motivierte Aufgabe seines Hauses die Sammlung des im Zusammenhang mit der Besetzung des Rheinlandes erschienenen Schrifttums einschließlich Eupen-Malmedy, Saargebiet und Rheinschiffahrt. Die Bibliothek bearbeitet gegenwärtig im Auftrag der bayerischen Staatsregierung und mit Unterstützung derselben eine umfassende Bibliographie raisonnée dieses „Westschrifttums“.[Anm. 12] Der erste und einzige publizierte, die Monographien verzeichnende Band dieser Bibliographie erschien 1929. Er zeigte nicht nur die reichen Bestände des Hauses zu diesem Thema, sondern auch umfassend auch die in Frankreich erschienene Literatur.[Anm. 13]

    1930 endete die französische Besetzung der Pfalz, bei der es ab etwa der Mitte der 1920er Jahre zu immer weniger Konflikten gekommen war, zumal die französische Besatzungsmacht die Förderung „separatistischer“ Bestrebungen eingestellt hatte. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die Frontstellung der Pfalz gegen Frankreich dann in verschärfter Form propagandistisch wiederaufgenommen und die Pfälzische Landesbibliothek in diesem Sinn als kulturpolitische Waffe der Westmark stilisiert.[Anm. 14] Nach dem Neubeginn ab 1945 wurde das Haus auf demokratischer Grundlage zur Landesbibliothek der Pfalz. Sie ging 2004 im Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz auf, ist aber nach wie vor für das Sammeln, Erschließen und Bewahren der Literatur aus und über den ehemaligen Regierungsbezirk Pfalz zuständig und zusammen mit den Archiven und Museen des Landes und anderen Bibliotheken eine der wichtigsten kulturtragenden Institutionen in Rheinland-Pfalz.

    Armin Schlechter (Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz, Pfälzische Landesbibliothek), 21. September 2021

    Anmerkungen:

    1. Georg Reismüller, Die neue Pfälzische Landesbibliothek, in: Pfälzisches Museum / Pfälzische Heimatkunde 19 (1923), S. 1. Zurück
    2. Rudolf Jung, Die Gründung der Pfälzischen Landesbibliothek und ihre Entwicklung bis zum Jahre 1945, in: Die Pfälzische Landesbibliothek 1921-1971. Aus Geschichte und Gegenwart, hrsg. von Wolfgang Metz, Speyer 1971 (Pfälzische Arbeiten zum Buch- und Bibliothekswesen und zur Bibliographie 7), S. 15-20. Zurück
    3. Marion Nöldeke/Armin Schlechter, Französische Kulturpolitik, in: Der gescheiterte Friede – Die Besatzungszeit 1918-1939 im heutigen Rheinland-Pfalz, hrsg. von Ute Engelen u. Walter Rummel, Koblenz 2020 (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 129), S. 109-128. Zurück
    4. Jung (wie Anm. 2), S. 21; Helmut Gembries, Pfalzhilfe 1919-1930 (https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Pfalzhilfe,_1919-1930). Zurück
    5. Reismüller (wie Anm. 1), S. 2; Jung (wie Anm. 2), S. 23-25. Zurück
    6. Jung (wie Anm. 2), S. 26-32. Zurück
    7. Jung (wie Anm. 2), S. 40-42; Georg Reismüller, Die neue Pfälzische Landesbibliothek in Speyer a. Rh., in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 39 (1922), S. 335-341; Reismüller 1923 (wie Anm. 1), S. 5 u. 7. Zurück
    8. Reismüller 1922 (wie Anm. 7), S. 335. Zurück
    9. Franz Matt, Zur Eröffnung der Pfälzischen Landesbibliothek, in: Pfälzisches Museum / Pfälzische Heimatkunde 19 (1923), S. 8. Zurück
    10. Michael Wagner, Öffentliche Bibliotheken und Bibliothekspolitik in der Pfalz (1921-1996). 75 Jahre Staatliche Büchereistelle Rheinhessen-Pfalz, Kaiserslautern 1996 (Beiträge zur pfälzischen Geschichte 13), S. 27-30. Zurück
    11. Franz Hartmann, Pfälz. Volksbüchereiarbeit und Landesbibliothek, in: Pfälzisches Museum / Pfälzische Heimatkunde 19 (1923), S. 41; Reismüller 1922 (wie Anm. 7), S. 340. Zurück
    12. Georg Reismüller, Vier Jahre Pfälzische Landesbibliothek, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 44 (1927), S. 514-516. Zurück
    13. Georg Reismüller/Josef Hofmann, Zehn Jahre Rheinlandbesetzung. Beschreibendes Verzeichnis des Schrifttums über die Westfragen mit Einschluß des Saargebiets und Eupen-Malmedys, [Bd. 1]: Die selbständig erschienenen Schriften, Breslau 1929. Zurück
    14. Jung (wie Anm. 2), S. 29. Zurück