0.Auszüge aus der Schulchronik Gappenach zu Inflationszeit und Ruhrkrise
Die Schulchronik aus Gappenach, Kreis Mayen, gibt einen alltagsgeschichtlichen Einblick in die Inflationszeit. Der damalige Chronist beschreibt für die Jahre 1921 und 1922 u.a. die Teuerung von Lebensmitteln und klebt zur Dokumentation zahlreiche Reichsbanknoten typo3/#_msocom_1mit in die Chronik.
Die handschriftlichen Seiten in Sütterlin über die damalige Inflationserfahrungen wurden von Marita Hallmann transkribiert, um die Chronik allen Interessierten zugänglich zu machen. Die Originalseiten aus der Schulchronik können jeweils ebenso dazu aufgerufen werden.[Anm. 1]
0.1.Das Jahr 1921
„Der Winter 20/21 war gelind. Im Februar gab es einige trockene-kalte Tage. Schnee hatten wir spärlich. Der März war schön. Im April kalte Regen- und Schneetage, doch blieb letzterer nicht liegen. So hatte der Boden nur wenig Feuchtigkeit. Es blieb trocken das ganze Jahr hindurch. Niemand im Ort, sogar die 86-jährige Frau Müller konnte sich eines solchen Jahres nicht erinnern. Vom 26. Mai bis 5. August hat es nun keinen Tropfen mehr gegeben. Die Winterfrucht war gut. Hafer standt handhoch und die Kartoffeln blieben im Wachstum sehr zurück. Der Regen im August hat den Kartoffeln mehr geschadet als genützt. Sie fingen an nur zu treiben und in der Erde bildete sich der sogenannte „Zweiwuchs“ […] aber nicht mehr und so war die Kartoffelernte kläglich. Durchschnittlich wurden noch keine 30 Zentner auf dem […] Morgen geerntet. Sie […] fand auch […] Anfang Oktober 70 – 75 M Ende Oktober 100 – 105 M außerdem Schnecken befallen […]. Müssig sah es mit dem Futter aus. Der erste Schnitt war gut, zum zweiten Schnitt aber kamen nur die Felder wie den Mischungen am ehemaligen Sumpfbirken. So trieben die Leute das Vieh auf die Felder und […]
Einzellner Trost für uns war, dass wir wenigstens Futter genug hatten. Die Leitung hat keine Wünsche versagt. Naunheim, Mertloch und Polch litten sehr unter Wassermangel.
Der Winter setzte früh ein. Deutlich konnte man 4 Kühltagwirken unterscheiden. In einzelnen Nächten der letzten stand das Thermometer bis 19° unter Null.”
0.2.Das Jahr 1922
„Unter der früh und ohne Schnee eingetretenen Kälte hat der Roggen stark gelitten und mancher Morgen mußte umgepflügt werden und wurde mit Sommerfrucht oder Kartoffeln bestellt. Der Weizen litt weniger. Der Monat April brachte die langersehnten Niederschlägen, regnete es doch in den 30 Tagen an 23 Tagen. Mai u. Juni waren wieder trockener und der Landwirt befürchtete wieder das Schlimmste. Da aber die Hitze nicht so groß war wie im vergangenen Jahr, entwickelten sich die Feldfrüchte zur Zufriedenheit”
Fortsetzung 1922
„Die Ernte der Körnerfrüchte war mittel bis gut, den der Kartoffeln sehr gut. Auch Obst gut reichlich. Preise zu nennen ist fast unmöglich.
Weizen: Im August 3000 M 1 Zentner Im Oktober 1000 M
Kartoffeln: Im September 370 M 1 Zentner Im Oktober 710 M
diesen Preisen entsprechen auch diejenigen für die anderen täglichen Bedürfnisse. Am 29. Oktober kosteten
1 Ei 28 M 1 Pfd. Salz 13 M
1 Pfd. Rindfl. 200 M 1 Pfd. Zucker 120 M
1 Pfd. Butter 550-600 M
Da Zucker sehr teuer und kaum zu haben ist, blieb das Obst im Preise zurück. Falläpfel 200 M gepflückte 350 M je Zentner. Der Preis für Kleider und Schuhe sind für uns fast unerschwinglich.
Schuhe 6-7000 M Stoff 4-6000 M 1 m
Für den Landwirt, der zu den hohen Preisen verkauft, spielen die hohen Preise gar wenig Rolle. Er kauft um die Papierscheine los zu werden. Gewiß auch die Beamtengehälter wurden erhöht vielfach setze die Erhöhung zu spät ein und wenn dann das Geld in die Hände der betreffnenden kam, war der Teuerungszuschlag längst überholt [.] Schuld an der Teuerung ist neben so manchem wuchern die Valuta, […] ,in letzter Zeit gar […]. Möge die Zeit bald kommen, dass der Dollar wieder auf 420 M steht. Wie es augenblicklich ist, möge der Kurszettel zeigen.”
Ein eingeklebter Kurszettel mit Berliner Devisenpreisen
Fortsetzung 1922
„Die Inflation nimmt ihren Fortgang. Die Papierscheine erhalten immer größere Zahlen. Da die monatlichen Zahlungsmittel nicht mehr ausreichen, drucken die Kreise u. Städte Geld. Das Durcheinander wird immer größer. Mit Mayener Geld kann man in Coblenz nicht kaufen und umgekehrt. Wir bekommen grundsätzlich Scheine der Stadt Neuwied.
Am 1. Oktober erhielt ich 11 000 000 000 (11 Milliarden) Wir fuhren nach Coblenz, dünkten uns als Krösus – aber kein Mensch nahm uns die Neuwieder Scheine ab. Durch einen Bekannten bekam ich am 2ten Tage 9 Milliarden umgewechselt dafür erstand ich mir einen Mantel. Den Rest nahm ich mit nach Hause und in wenigen Tagen war er wertlos.
Eine Musterkarte des Sammelsuriums:”
Zwei eingeklebte Geldscheine. Darunter steht noch ein zusätzlicher Satz des Chronisten: „Genannt: des Deutschen Reiches Zukunftstal”. Es folgen sechs Seiten mit Inflationsgeld, von denen hier eine kleine Auswahl präsentiert wird.
0.3.Das Jahr 1923
„Das ist nun eine kleine Auslese. Derartige Scheine erhalten […] viele – viele. Der letzte Akt des damals spielte sich in unglaublich kurzer Zeit ab, wie die Daten im vorstehenden Bilderbuch beweisen. Mit Millionen und Milliarden werfen wir um uns, und so arm waren wir! In manchen Beamtenfamilien und auch bei kleinen Bauern herrschte eine unglaubliche Armut.
Der reiche Bauer verkaufte nicht mehr für Mark sondern nur gegen Dollar, Gulden und Franken. Der Gulden spielte die größte Rolle. Im Januar besetzten die Franzosen das Ruhrgebiet und passiver Widerstand setzte ein, die Folge war kein Verkehr und Arbeitslosigkeit, die Arbeitslosen wurden mit öffentlichen Mitteln unterstützt Städte und Gemeinden bauten mit Staatsmitteln Wege, öffentliche Gebäude usw. oder ließen großen Reparaturen wahrnehmen, 2/3 des Arbeitslohnes wurden vom Staat sogenannten Arbeitslosenunterstützung gezahlt. Die Gemeinden, welche auf der Hut waren, haben manche Hilfe unter kirchl. Verhältnissen.
Daß die Schule nicht zu kurz kam, dafür habe ich mit Hilfe der Gemeinde gesorgt. Alle Türen und Fenster wurden gestrichen, ihr Schulspind selbst instandgesetzt und endlich gelang es mir auch, ihre Einfriedigung um die Schule fertigzustellen.
Von Anfang an kämpfte ich um die Mauer. Im Frühjahr 1914 beschloss der Gemeinderat ebenfalls zu bauen. Alle Vorbereitungen waren getroffen. Da brach der Krieg aus und aus der Sache wurde wieder nichts. Als aber die obenerwähnte Zeit, so genannte „Cunozeit“, damals Dr. Kuno Ministerpräsident war, anbrach, war die Zeit gekommen, ohne die Gemeindesäckel zu belasten, die Mauer zu bauen.
Im Jahre vorher hatte ich die Abschlusswand an der Treppe errichten lassen und so wurde die Schule immer vorzeigbar.
Der passive Widerstand oder Ruhrkampf hatte aber noch andere traurige Folgen. Im alt und neubesetzten Gebiet wurden im Ganzen 48 000 Personen ausgewiesen und zwar 40 000 Beamte und 8 000 Privatpersonen. Diese mussten rund 10 000 Angehörige mit sich nehmen. Monatelang drohte auf uns das Gespenst der Ausweisung, war man sich nie sicher, ob nicht eines Tages das berüchtigte Auto kommen würde, es kam sehr oft. Wir geben 5 - 10 Minuten Zeit, dann müssen sie bereit sein. Den Bürgermeister aus Münstereifel, Herr Dötsch, nahm man so aus [...]”
Fortsetzung 1923
„[...] seiner Gemeindeverwaltung in Gierschnach. Wenn es so schnell ging, mußte die Familie innerhalb von 4 Tagen folgen. Auch das Gepäck war nach kg vorgeschrieben. und manches mußte in der Wohnung zurückgelassen werden.
Die Zustände wurden immer unhaltbarer. Handel und Wandel stockte. Die meisten Geschäfte verkauften nur mehr nach Stunden, andere schlossen ganz. Kein Mensch konnte sagen wie das Ende käme. Allgemein war man der Ansicht, daß die „Inflation“ nach und nach zurückginge, vielleicht noch in einem langsameren Tempo wie es, gekommen; doch es kam ganz anders.
Ministerpräsident Cuno ging und der Zentrumsabgeordnete Marx trat sein Erbe an. Ende November stand der Dollar in 2 Tagen 19 Billionen, ja ich schreibe es noch mal „Billionen“. Marx versuchte sofort die M[ark] zu stabilisieren. Es wurde die Notenbank gebildet, der Grundbesitz mit einem Teil seiner Besitzer als Schuldner erklärt 1 Billion M(ark) erklärt, dazu neue Scheine der „Rentenmark“ ausgegeben und mit einem Schlag rechneten wir wieder mit M[ark] und Pfennig. Der erste Schritt war getan. Die Rentenmark wurde später durch die Goldmark abgelöst; die auf der Dollarbasis aufgebaut etwa 70 % Golddeckung hat und deshalb auch im Ausland vollwertig anerkannt wird.
Nun kam Frankreich ins Hintertreffen. Während der Inflationszeit konnte man für 1 Frs. eine kleine Reise machen. Heute kauft man für 1 M[ark] 5,8 Frs. Der passive Widerstand wurde aufgegeben, Deutschland bezahlte große Summen an die Rezessionskassen, die ehemaligen Feinde sahen ein, dass man nur, wenn man Geld haben wollte nicht, nicht das ganze Geld ganz erhalten konnte und nach dem Londoner Vertrag wurde den allzu streng angezogenen Kunden etwas gelockert Nach und nach kehrten die Ausgewiesenen zurück, die Besatzung aus der Ruhr zurückgezogen und manche zu harten Bestimmungen gemildert.”
Unterschrift, 28/8. 25
Anmerkungen:
- Der vom Landeshauptarchiv Koblenz zur Verfügung gestellte Teil des Bestands 716, Nr. 315 (Schulchronik Gappenach, Kreis Mayen) aus den Jahren 1921-1923 wurde transkribiert von Marita Hallmann, Hagen. Schreibweisen gem. Original, unleserliche Stellen sind mit […] gekennzeichnet. Zurück