Erster Weltkrieg und
    Besatzung 1918-1930
    in Rheinland-Pfalz

    Linz am Rhein in der Besatzungszeit

    Stempel der Interalliierten Rheinlandkommission, Kreis Neuwied[Bild: StA Linz]

    Der Waffenstillstandsvertrag vom 11. November 1918, der den Ersten Weltkrieg beendete, sah eine Entmilitarisierung der linksrheinischen Gebiete, eines 50 km breiten Streifens auf der rechten Rheinseite und von vier rechtsrheinischen Brückenköpfen vor, darunter Köln, Koblenz und Mainz mit einem Radius von jeweils 30 Kilometern. Diese Gebiete wurden Anfang Dezember 1918 von Truppen der Siegermächte besetzt. Im Koblenzer Brückenkopf und somit auch im Linzer Raum waren amerikanische Soldaten stationiert.[Anm. 1]

    Karte der neutralen Zone[Bild: Vogels, Werner/Hohe interalliierte Rheinlandkommission (1925): Die Verträge über Besetzung und Räumung des Rheinlandes und die Ordonnanzen der Interalliierten Rheinlandoberkommission in Coblenz. Berlin.]

    Die Bevölkerung, so erinnerte sich später der damals 16-jährige Joachim von Elbe, Sohn des Landrates Kurt von Elbe in Neuwied, war beeindruckt von den Autokolonnen, die aus Koblenz kommend unentwegt rheinabwärts und Richtung Westerwald brausten: „Die Transportfahrzeuge, auf denen bis zu 50 Mann saßen oder standen, fuhren mit großer Geschwindigkeit, aber dennoch leise auf ihren Gummireifen. Ihnen folgten schwere Lastautos, dazwischen Motorräder mit Beiwagen, Personenautos der Offiziere, Krankenwagen und Telegraphenfahrzeuge. Wir erlebten das Schauspiel einer motorisierten Armee […] – für unsere kleinstädtischen Verhältnisse ein ungewohnter und immer wieder faszinierender Anblick.“[Anm. 2] An den amerikanischen Soldaten, so von Elbe, war zunächst alles fremd: „Der Geruch, den die Soldaten an sich hatten, eine Mischung aus süßlichen Zigaretten, Gummi und Benzin; die äußere Erscheinung; […] Soldaten, die sich unablässig gegenseitig einen Ball zuwarfen, der mit hartem Aufschlag von einem dicken Lederhandschuh aufgefangen wurde […]. Zu dem Bild des Fremdartigen gehörte auch der Eindruck, daß die Amerikaner alles, was uns unerreichbar war, Südfrüchte, Schokolade, Zigaretten, überhaupt jedes Genußmittel, Weißbrot und andere schon lange unbekannt gewordene Lebensmittel im Überfluß besaßen.“[Anm. 3]

    Reisebestimmungen der Besatzungsbehörden[Bild: Bild: StA Linz]

    Stadt- und Landbürgermeisterei Linz gehörten nicht unmittelbar zum besetzten Gebiet, sondern lagen im so genannten „Flaschenhals“, einer neutralen Zone zwischen den Brückenköpfen Köln und Koblenz. Dennoch kam es auch hier zu Begegnungen mit Besatzungssoldaten, denn das Gebiet des Koblenzer Brückenkopfes reichte bis an die Grenze der Landbürgermeisterei heran und Grenzüberschreitungen waren an der Tagesordnung. Gleichzeitig behinderten behördliche Vorgaben für die Zivilbevölkerung den Verkehr von und nach Linz durch die besetzte Zone des Koblenzer Brückenkopfes.

    Vordrucke des Passierscheins und der grünen Verkehrskarte[Bild: Bild: StA Linz]

    Auch die angeordnete Einquartierung amerikanischer Truppen in Privathäusern und -wohnungen führte durch die beengten Zustände, die generell schlechte Versorgungslage der einheimischen Zivilbevölkerung und Beschlagnahmungen zwangsläufig zu Reibereien mit den Besatzern. So wurden in dem nur etwa 1.000 Einwohner zählenden Ort Leubsdorf am 13. Dezember 1918 „50 Offiziere, 1200 Mann und 200 Pferde der Amerikaner untergebracht“, wie der Linzer Bürgermeister Paul Pieper an Landrat von Elbe schrieb.[Anm. 4]

    Auch in Ariendorf bekam jedes Haus Einquartierung. „In unser Haus kamen 9 Mann, da kann man sich denken, was das für eine Aufregung gab für meine Eltern“, so Josef Nelles in einem Zeitzeugenbericht.[Anm. 5]typo3/#_edn2 „Wir Kinder hatten unsere Freude an so viel Neuem. Aber meine Mutter sagte, was soll nur werden, das schöne Wohnzimmer. Denn das schlimme war, wir hatten kurz vorher noch eine Familie aufgenommen, die keine Wohnung hatte. So waren wir sehr eingeengt durch die Soldaten. […] Wir machten große Augen, was die alles mitgebracht hatten, sogar Schokolade und eine Menge Zigaretten. […] An unserem Küchenherd steckten sie ihre Zigaretten mit Dollarscheinen an. […] An der Unterführung zum Rhein hatten die Amerikaner einen langen Fahnenmast aufgestellt mit dem Sternenbanner, das morgens um 8 Uhr mit milit. Ehren gehißt wurde und mit Trompetengeschmetter. Jeder Vorbeigehende musste den Hut abnehmen. […] Die Straßen mussten morgens um 9 Uhr gefegt sein und jeder Misthaufen im Hof mit Tannengrün abgedeckt werden. “[Anm. 6]

    Bürgermeister Pieper (Mitte) und die Linzer Stadtverwaltung, 1920er Jahre[Bild: StA Linz]

    Der Linzer Bürgermeister Dr. Paul Pieper erlebte das Verhalten der Besatzer in diesen Tagen ganz unterschiedlich. Er traf auf „Mannschaften, die sich sehr anständig benahmen“, aber auch auf „einen völlig betrunkenen Soldaten und ein gleicher lag auf dem Gaswerk, bis ich ihn durch seine Kameraden abholen lassen konnte.“[Anm. 7] Der übermäßige Alkoholkonsum führte regelmäßig zu Konflikten mit der einheimischen Bevölkerung. So artete ein zufälliges und zunächst friedliches Zusammentreffen von Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr Linz im Rahmen eines Sommerausfluges auf die Linzer Höhe mit amerikanischen Soldaten unter dem Einfluss von Alkohol in einen handfesten Streit aus. Der erst verbal, dann körperlich ausgetragene Konflikt eskalierte schließlich derart, dass die Soldaten auf die weglaufenden Linzer schossen. Zwar wurde niemand verletzt, dennoch erregte der Zwischenfall großes Aufsehen.[Anm. 8] Da seitens der Besatzer die Gemeindevorsteher und Bürgermeister für den verbotenen übermäßigen Ausschank von Alkohol an die Truppen verantwortlich gemacht und teils sogar inhaftiert wurden, verfügte Landrat von Elbe am 30. Dezember 1918 die Beschlagnahme allen Branntweins in Leubsdorf und Dattenberg und erteilte ein Ausfuhrverbot von Branntwein aus der neutralen Zone in das angrenzende Gebiet des Koblenzer Brückenkopfes.[Anm. 9]

    Die Stadt Linz profitierte aber auch von ihrer Lage, denn über die der alliierten Kontrolle noch entzogene Bahnstrecke Linz-Altenkirchen entwickelte sich in den ersten Monaten nach dem Krieg ein schwunghafter Großhandel mit den freien innerdeutschen Gebieten, weshalb Linz zur Wirtschaftsdrehscheibe im „Flaschenhals“ wurde. Auch während der ersten Wochen des Ruhrkampfes zu Beginn des Jahres 1923 blieb die Stadt unbesetzt, und die Westerwaldbahn bot als einzige freie Strecke vom Rhein in das Innere Deutschlands die Möglichkeit, Waren vom linksrheinisch besetzten Gebiet zollfrei dorthin zu befördern. Am 1. März 1923 marschierten die Franzosen in die neutrale „Flaschenhalszone“ ein und versperrten dieses Schlupfloch. Der Stadtchronist notierte: „Am 1. März in den Abendstunden war es, als auch unser Städtchen von 2 Kompagnien des 157. franz. Inf. Rgts., die ihren Weg über die Remagener Brücke genommen, besetzt wurde, nachdem wenige Stunden vorher Königswinter, Honnef, Unkel, Erpel das gleiche Schicksal erreicht hatte. Da es darum ging, in erster Linie die Westerwaldbahn, die verbliebene einzige Verkehrsader, zu unterbinden, wurde gegen 5 Uhr nachmittags der Bahnhof besetzt, sämtliche Bahnuhren zum Stillstand gebracht, sämtliche Ein- und Ausgänge des Bahnhofs durch eine Abteilung mit Maschinengewehren gesperrt, die Warteräume belegt, und die anwesenden Beamten in vorläufige Haft genommen. Am 11.3.23 erfolgte Ablösung der Franzosen durch die Marokkaner.“[Anm. 10]

    „Marokkaner“-Soldaten im Linzer Rathaus, 1923[Bild: StA Linz]

    Nach der Besetzung der Stadt durch die Franzosen war die Linzer Bevölkerung verpflichtet, sich dem von der deutschen Regierung ausgerufenen passiven Widerstand anzuschließen, und Bürgermeister Pieper wies trotz zwischenzeitiger Verhaftung durch die Besatzer deren Forderungen nach Beschlagnahmung von Wohnungen, Betten, Lebensmitteln und Sonstigem wiederholt zurück. Im Gegenzug schränkten die Franzosen den Straßenverkehr ein und schlossen Mitte Juni die Fähre. Von Frühjahr 1923 bis Oktober 1924 mussten außerdem Beamte und Angestellte von Eisenbahn und öffentlicher Verwaltung mit ihren Angehörigen, insgesamt 113 Personen, Linz verlassen. Diese Sanktionen und wiederholte Übergriffe durch die französischen Besatzungstruppen wie etwa eine versuchte Vergewaltigung versetzten die Bevölkerung in große Unruhe, wenngleich sich auch „einzelne wenige (Jugendliche) beiderlei Geschlechts an die Franzosen heran[drängten] und in Wirtschaften und außerhalb Verbindungen und Verbrüderungen mit denselben [suchten], trotz aller behördlichen Verwarnungen.“ Erst nach dem Abbruch des passiven Widerstands durch die Reichsregierung am 26. September 1923 entwickelte sich ein erträgliches Zusammenleben. Am 20. November 1925 räumten die Franzosen mit dem gesamten „Flaschenhals“ auch Linz.[Anm. 11]

    Separatisten-Armbinde[Bild: StA Linz]

    Nicht nur mit den Auswirkungen der Besatzung hatte die Linzer im Krisenjahr 1923 zu kämpfen: In der Nacht zum 11. November 1923 marschierten Separatisten in die Stadt ein, die sich die Loslösung der Rheinprovinz vom Deutschen Reich auf die Fahnen geschrieben hatten. In Linz besetzten sie Rathaus, Gymnasium, Volksschulen und den Dillmannschen Saal und es kam zu gewalttätigen Übergriffen. Aus der Garage der Basalt AG wurden zwei wertvolle Autos gestohlen, die Geschäfte zur Lieferung von Nahrungsmitteln, Kleidung oder Rauchwaren gezwungen und die Stadtkasse geplündert. Der Bürgermeister wurde abgesetzt, die Polizeibeamten entwaffnet und die grün-weiß-rote Fahne auf dem Rathausdach gehisst. Franz Hecker wurde Ortskommandant. Am 14. November ließ der aus Neuwied eingetroffene französische Delegierte Graf de Beaurepaire Separatistenführer Schilling im Linzer Rathaus vorführen. Beaurepaire „sprang auf ihn zu, griff ihn beim Rock und Weste und warf ihn quer durch das Amtszimmer“ des Bürgermeisters, dann ließ er ihn inhaftieren. Die grün-weiß-rote Fahne wurde „unter Freudengeheul der Linzer“ heruntergeholt, und die Separatisten von einer aufgeregten Menschenmenge aus der Stadt gejagt.[Anm. 12]

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    Städtische Brotverkaufsstelle, 1918[Bild: StA Linz]

    1923 erreichte zudem eine dramatische Wirtschaftskrise ihren Höhepunkt. Die seit 1914 sich stetig steigernde Geldentwertung hatte sich zur Hyperinflation entwickelt und trieb auch in Linz die Lebenshaltungskosten in schwindelnde Höhen. Im Januar 1923 kostete ein Pfund Butter auf dem Linzer Wochenmarkt bereits 1.800-2.000 Mark, Eier wurden mit 80-90 Mark das Stück gehandelt. Im September 1923 mussten für einen Liter Milch 3,8 Millionen Mark, für ein 1 Pfund Butter im Durchschnitt 60 Millionen, für ein Ei 4 Millionen bezahlt werden. Wie in Kriegszeiten waren Notgeldscheine in Umlauf, breite Bevölkerungsschichten verarmten, Lohnstreiks bei der Basalt AG waren die Folge. Erst mit Einführung der Rentenmark im Zuge der Währungsreform im November 1923 wurde die Inflation in Deutschland schlagartig gestoppt.[Anm. 13] Über den Zustand der öffentlichen Ordnung und die Stimmung in der Bevölkerung geben die auf Anweisung der Interalliierten Rheinlandkommission regelmäßig abzuliefernden Bürgermeisterberichte Auskunft. Am 11. Dezember 1923 vermeldete der Linzer Bürgermeister, dass „die Stimmung der Bevölkerung im allgemeinen noch als sehr gedrückt bezeichnet werden [darf].“ Zu Aufruhr oder Streiks sei es aber nicht gekommen, lediglich zu „kleineren Unruhen der Erwerbslosen. […] Die Senkung der Preise hat die Möglichkeit einer Besserung der Lebensmittelversorgung gegeben. Weite Schichten der Bevölkerung können jedoch nicht den gewünschten Nutzen aus der Verbilligung ziehen, wegen Fehlens der nötigen Geldmittel.“ Am 12. März 1924 hatte sich die Lage bereits deutlich gebessert: „Die Bevölkerung ist zuversichtlich gestimmt. Die eingetretene Besserung, besonders in der wirtschaftl. Lage, erweckt bei den Erwerblosen die Hoffnung auf baldige Arbeitsmöglichkeiten. An Lebensmitteln besteht kein Mangel.“[Anm. 14]

    Einladung zu einer Veranstaltung der NSDAP, 1930[Bild: StA Linz]

    In den kommenden Jahren erholte sich die Wirtschaft nachhaltig, es gab wenig Arbeitslose, und die Kaufkraft war verhältnismäßig stark. Nicht zuletzt setzte Bürgermeister Pieper in den Nachkriegsjahren zahlreiche Vorhaben um, die die Stadt in ihrer kommunalen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung erheblich voranbrachten. Er ließ eine Wasserstation am Rhein, ein neues Feuerwehrhaus und eine moderne Jugendherberge am Schoppbüchel, die Kriegergedächtnisstätte, ein neues Post- und ein neues Katasteramt sowie eine Reihe von stadteigenen Wohnungen errichten. Der Ausbau und die Modernisierung der städtischen Infrastruktur fielen ebenso in diese Zeit wie nicht zuletzt die Freilegung der Fachwerkhäuser, die Linz erst zur „Bunten Stadt“ machte. Erst 1930 entwickelten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in Linz erneut zum Schlechteren, als die Weltwirtschaftskrise zum Durchbruch kam. Auch das politische Klima verschlechterte sich ab 1930. Agitationen von rechts und links und gewalttätige Auseinandersetzungen bei öffentlichen Wahlkampfveranstaltungen nahmen zu und waren Vorboten des Niedergangs der Weimarer Demokratie.[Anm. 15]

    Andrea Rönz, Juni 2020

    Anmerkungen:

    1. Vgl. zur Kriegs- und Nachkriegszeit allgemein: Rönz, Andrea, Linz im Ersten Weltkrieg, Linz am Rhein 2014; im Folgenden: Rönz; online: https://archivlinz.hypotheses.org/linz-im-ersten-weltkriegZurück
    2. Elbe, Joachim von, Unter Preußenadler und Sternenbanner. Ein Leben für Deutschland und Amerika, Düsseldorf 21996, hier zit. nach: Walker, Stephan, Amerikanische Besatzungstruppen im Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg, in: 100 Jahre amerikanische Präsenz in Rheinland-Pfalz (PL-Information 3/2019), hg. v. Pädagogischen Landesinstitut Rheinland-Pfalz, Bad Kreuznach 2019, S. 9-33, hier S. 16; im Folgenden: Walker. Zurück
    3. Ebd., S. 16. Zurück
    4. Stadtarchiv Linz am Rhein (StAL) 2/46-51; vgl. Walker, s. 21. Zurück
    5. StAL unverzeichnet; vgl. Walker, S. 22 u. 25. Zurück
    6. Ebd. Zurück
    7. StAL 2/46-51; vgl. Walker, s. 21. Zurück
    8. StAL 2/46-51; vgl. Rönz, S. 21. Zurück
    9. StAL 2/46-51; vgl. Walker, S. 24. Zurück
    10. StAL P 34 ( = Chronik 1923-1935), S. 9. Zurück
    11. Vgl. StAL P 34; vgl. Burghard, Hermann / Kapser, Cordula, Linz am Rhein. Die Geschichte der Stadt von der Frühzeit bis zur Gegenwart, Köln u.a. 2002, S. 201-203; im Folgenden: Burghard/Kapser. Zurück
    12. Vgl. Burghard/Kapser, S. 204-206; StAL P 34. Zurück
    13. Vgl. Burghard/Kapser, S. 200f. Zurück
    14. Alle Zitate aus: StAL 2/60-306L. Zurück
    15. Vgl. Burghard/Kapser, S. 207-209; vgl. StAL P 34, P 69, 2/59-2, 2/59-5. Zurück