Erster Weltkrieg und
    Besatzung 1918-1930
    in Rheinland-Pfalz

    1.2 Untersuchungsgegenstand

    Weihnachtspostkarte eines amerikanischen Soldaten[Bild: Stadtarchiv Koblenz, FA 1 Nr. 6]

    Die Einrichtung der amerikanischen Besatzungszone bedeutete eine Vielzahl an Herausforderungen und Problemen, sowohl für die besiegten und besetzten Deutschen als auch für die siegreichen amerikanischen Besatzer. Der geschichtliche Rahmen, der im vorherigen Kapitel schon für die gesamte Besatzungszone skizziert wurde, galt auf Mikroebene auch für die Stadt Koblenz, ihre Bevölkerung und die dort stationierten Amerikaner. Was Koblenz als Ausgangspunkt für die nachfolgende Untersuchung besonders interessant macht, ist die Tatsache, dass diese Stadt nicht nur das Hauptquartier der amerikanischen Besatzungsarmee und den größten Teil des Verwaltungsapparates bzw. die entscheidungsträchtigen Organe beherbergte, sondern auch, dass Koblenz über die gesamte Dauer der amerikanischen Rheinlandbesatzung Teil der Besatzungszone war und diese sich schließlich sogar nur noch auf das Koblenzer Stadtgebiet beschränkte.[Anm. 1] Dies ermöglicht es, einen themenspezifischen Längsschnitt über die gesamte amerikanische Besatzungszeit in einer Tiefe vorzunehmen, die andere Orte innerhalb der ursprünglichen Zone nicht erlauben würden.

    Ein Problem, das nicht nur die amerikanischen Besatzungstruppen, sondern auch die besetzten Deutschen betraf, war es, das eigene, tägliche Handeln mit den teils neu erlassenen, teils bestehenden Regeln, Gesetzen und Ordonanzen abzustimmen. Oder anders ausgedrückt, die eigene Rolle in diesem neuen, von friedenszeitlicher Normalität weit entfernten Mikrokosmos einer besetzten Stadt zu finden und sich konform mit der nun dort geltenden Ordnung zu verhalten. Schlimmer noch, es wurde nun plötzlich erforderlich mit Fremden in unmittelbarer Nähe leben zu müssen und die eigenen Interessen und Standpunkte mit denen des oftmals verhassten Gegenübers in Einklang zu bringen. Denn sowohl für die deutsche Bevölkerung, die sich mit der Kriegsniederlage und der folgenden Besatzung durch die überlegenen und zunächst unberechenbaren Amerikaner abfinden musste, als auch für die amerikanischen Soldaten, die sich nun in Feindesland und ohne jegliche Erfahrung in Besatzungsfragen behaupten mussten, bestand die Herausforderung, sich in dieser Lage zurechtzufinden.

    Aus der Problematik des täglichen Gegen- und Miteinanders innerhalb eines von Vorgaben und Einschränkungen bestimmten Alltags in Koblenz in den Jahren der Besatzung 1918 bis 1923 ergibt sich die Frage nach der daraus folgenden Delinquenz.

    Terminologie

    Unter dem Begriff Delinquenz werden in dieser Arbeit alle Arten von strafbaren Handlungen im Straf- und Zivilrecht zusammengefasst. Eine klare Differenzierung zwischen Straf- und Zivilrecht ist nicht erforderlich, da die hier untersuchte Delinquenz der amerikanischen Militärgerichtsbarkeit während der Besatzungszeit unterlag und somit ein ganz eigener Rechtsraum geschaffen wurde. Dessen rechtlicher Rahmen war von Verordnungen und Anweisungen bestimmt, die in zum Teil weit auslegbarer Weise von der Besatzungsmacht erlassen wurden.[Anm. 2] In diesem Raum wurde nicht zwischen Straf- oder Zivilrecht unterschieden.[Anm. 3] In den Quellen wurden zudem Begrifflichkeiten aus der deutschen Rechtssprache synonym zueinander verwendet, obwohl diese juristisch unterschiedliche Bedeutungen aufweisen.[Anm. 4] Bezüglich dieser Terminologie wird im Folgenden in einheitlicher Weise nach Creifelds Definitionen verfahren.[Anm. 5]

    Die folgende Arbeit stellt eine Untersuchung jener Delinquenz dar, die zwischen Amerikanern und Deutschen in Koblenz während des genannten Zeitraums auftrat. Rein amerikanische bzw. rein deutsche straf- und zivilrechtliche Angelegenheiten werden nicht behandelt. Dies begründet sich u. a. auch in der strikt abgegrenzten Jurisdiktion jener Jahre, deren Aktenmaterial ebenfalls in strikt getrennter Form überliefert wurde. Denn wie in den nachstehenden Punkten deutlich wird, überließen die Besatzer den deutschen Behörden all jene Fälle, in denen Deutsche gegen Deutsche strafbar handelten. Die übrigen Fälle von Delinquenz in Koblenz, d. h. alle Fälle in denen in irgendeiner Form Amerikaner, die amerikanischen Behörden bzw. die amerikanische Besatzungsmacht und deren Verbündeten involviert waren, wurden von amerikanischen Militärbehörden bearbeitet. Dies schließt natürlich die eingangs erwähnten Fälle zwischen Besatzern und Besetzten mit ein.[Anm. 6]

    Ziel der Arbeit

    Die vorliegende Arbeit untersucht die Delinquenz zwischen Besatzern und Besetzten in Koblenz zwischen 1918 und 1923. Dabei wird folgenden Aspekten besondere Aufmerksamkeit geschenkt: Zunächst soll, zum Teil exemplarisch, dargelegt werden, wann, wo und wie es während der Besatzung zu Reibungspunkten und Straftaten zwischen Besatzern und Besetzten kam. Dazu wurden insbesondere die Bestände des Koblenzer Stadtarchivs untersucht und ausgewertet. Weiterhin soll geklärt werden, welche Formen von Delinquenz überhaupt auftraten und eine Kategorisierung nach Deliktgruppen und einzelnen Delikten vorgenommen werden. Abschließend soll untersucht werden, welche Folgen die aufgetretene Delinquenz für den Delinquenten, die Beteiligten oder Geschädigten, und in gewissem Maße auch für die Besatzungszeit selbst hatte. Aus diesen stark quellenbasierten, und in dieser Form bisher kaum vorhandenen Untersuchungen soll letztlich die Frage beantwortet werden, welche Arten von Delinquenz typisch für die Besatzung von Koblenz waren und wie diese das Spannungsfeld zwischen Besatzern und Besetzten beeinflussten.

    Anmerkungen:

    1. Vgl. ALLEN, 1923, S. 363; NELSON, 1975, S. 170. Zurück
    2. Vgl. VOGELS, 1925, Die Verordnungen der Interalliierten Rheinlandoberkommission, S. 101-360, Die Anweisungen der Interalliierten Rheinlandoberkommission, S. 361-393.  Zurück
    3. In der von der IRKO erlassenen VO 2 Gerichtsorganisation, Titel I. und II. wird formal zwischen rein deutscher und rein alliierter Straf- und Zivilgerichtsbarkeit inklusive ihrer entsprechenden Terminologie unterschieden. In Titel III. – Besondere Verbrechen und Vergehen gegen die Besatzung fällt diese Unterscheidung weg. Die in der vorliegenden Arbeit angestellte Untersuchung beschäftigt sich genau mit diesem dort skizzierten Rechtsraum; Siehe dazu: Kapitel 2.1; Vgl. VOGELS, 1925, VO 2 - Gerichtsorganisation, Titel I.-III., S. 109-123. Zurück
    4. Vgl. FRANK, REINHARDT (Hrsg.): Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich nebst dem Einführungsgesetze. Tübingen (11.-14. Aufl.), 1919, S. 3-7. Zurück
    5. Siehe Glossar. Zurück
    6. Zum vorhandenen Quellenmaterial siehe 1.3 Quellenlage; Zur Aufgabenteilung der vorhandenen Organe der Justiz in Koblenz während der Besatzung siehe Kapitel 2.1.  Zurück