Erster Weltkrieg und
    Besatzung 1918-1930
    in Rheinland-Pfalz

    8. Die Jahre 1924–1926

    8.1 Nationale und internationale Entspannung

    Eine Rentenmark aus dem November 1923[Bild: Deutsche Rentenbank [gemeinfrei]]

    Während durch die Einführung der Rentenmark Mitte 1923 die Hyperinflation gestoppt und die wirtschaftliche Stabilisierung eingeleitet werden konnte, bedeutete das Scheitern des Separatismus auf allen Ebenen und die Beendigung des „Ruhrkampfs“ eine politische Beruhigung Deutschlands. Der französische Premierminister Raymond Poincaré verlor die Parlamentswahlen im Mai 1924 an den Führer des Linkskartells, den Radikalsozialisten Edouard Herriot, der ab Sommer 1924 Ministerpräsident und Außenminister wurde.[Anm. 1] Für die Bevölkerungen und Regierungen Deutschlands und Frankreichs war die Zeit nach 1923 eine Phase der Erschöpfung, in der man nach Kompromissen suchte, um die wirtschaftliche und finanzielle Entspannung durch Lösung der Reparationsfrage sowie eine politische Annäherung herbeizuführen. In Außenminister Stresemann reifte der Gedanke, dass der Konflikt Deutschlands mit Frankreich nur durch Verhandlungen mit allen Westmächten zu überwinden sei. Einen Partner fand er im französischen Außenminister Aristide Briand, der die Außenpolitik seines Landes sieben Jahre lang – von 1925 bis zu seinem Tod 1932 – prägte. Ebenso wie Stresemann, der sein Amt sechs Jahre lang ausübte (1923–1929), war er der Meinung, dass nur eine Politik des Ausgleichs und des Kompromisses gegenüber dem einstigen Kriegsgegner zielführend sei. Diese Konstellation mündete bezüglich der Neureglungen der Reparationsbedingungen in den sogenannten Dawes-Plan von 1924 und in politischer Hinsicht in den Abschluss der Locarno-Verträge im Jahr 1925.

    Der Dawes-Plan, benannt nach dem Vorsitzenden der Reparationskommission, dem amerikanischen Bankier Charles G. Dawes, hatte folgenden Inhalt: Kernpunkt war die Bereitstellung eines Kredits von 800 Millionen Goldmark, im Wesentlichen von amerikanischen Banken, um die deutsche Wirtschaft wieder anzukurbeln. Aus den so erwirtschafteten Gewinnen sollten die Reparationen hauptsächlich an Frankreich gezahlt werden. Dies sollte nach folgendem Schema geschehen: Eine Milliarde Goldmark war im ersten Jahr des Beginns der Laufzeit zu begleichen, für das zweite Jahr waren 2,5 Milliarden Goldmark zu leisten, in den nächsten Jahren erfolgten die Zahlungen je nach der deutschen Wirtschaftsleistung. Die Gesamtsumme war grundsätzlich die 1921 festgelegte von 132 Milliarden Goldmark. Den Plan überwachte der sogenannte Generalagent, der amerikanische Bankier Parker Gilbert. Damit aber der Dawes-Plan anlaufen konnte, stellten die verantwortlichen angloamerikanischen Diplomaten und Bankiers Frankreich Bedingungen, die Herriot nach harten Verhandlungen akzeptierte. Dazu zählten der Abzug der französischen Truppen aus dem Ruhrgebiet vor Ablauf eines Jahres, der Abbau des französischen Verwaltungsapparats in den besetzten Gebieten und der dortigen Regiebahn. Die Enttäuschung über die harten Bedingungen führten zum Sturz der Regierung Herriot im April 1925. Durch den Dawes-Plan vollzog sich allmählich die Integration Deutschlands in den Westen und die verwaltungsmäßige und die wirtschaftliche Einheit des Landes wurde gewährleistet.

    In den im Oktober 1925 abgeschlossenen Locarno-Verträgen wurde die bestehende Nachkriegsordnung festgeschrieben, indem Deutschland seine Grenzen mit Frankreich und Belgien sowie die Entmilitarisierung des Rheinlands anerkannte.[Anm. 2] Deutschland verzichtete auf eine gewaltsame Grenzänderung. Großbritannien und Italien traten für diese Vertragsbestimmungen als Garantiemächte auf. Mit seinen östlichen Nachbarn Polen und der Tschechoslowakei schloss Deutschland nur Schiedsverträge ab, um später eine friedliche Revision der Ostgrenzen herbeiführen zu können. Deutschland verpflichtete sich außerdem, dem Völkerbund beizutreten. Als Bedingungen für die Ratifizierung der Locarno-Verträge forderte Stresemann von Frankreich die Räumung der Besatzungszone um Köln, was nach dem Versailler Vertrag schon zu Jahresbeginn 1925 hätte erfolgt sein sollen.[Anm. 3] Die öffentliche Meinung in Frankreich begrüßte die Politik Briands und die Verträge sehr. Obwohl „Locarno“ für Deutschland eine „Rückkehr auf die diplomatische Bühne als gleichberechtigter Akteur“ und einen beträchtlichen Prestigegewinn bedeutete, wurde die deutsche Außenpolitik von der Rechtspartei DNVP abgelehnt.[Anm. 4] Das Ergebnis war eine Regierungskrise. In der Ablehnung der Verträge von Locarno deutete sich bereits die Verweigerungshaltung der rechtsextremen Parteien an, die über die Präsidialkabinette seit 1930 zum Aufstieg des Nationalsozialismus führte.

    Viele deutsche Politiker gratulierten der Wormser Zeitung im Jahr 1926 zu ihrem 150-jährigen Bestehen. Unter ihren Gratulanten befand sich auch Außenminister Stresemann, ein enger Parteifreund Ludwig von Heyls. Die große Festausgabe der Zeitung zu diesem Anlass zeugt durch ihren gesamten Inhalt, besonders jedoch durch die in ihr abgedruckten Glückwunschschreiben mit vielen Bezügen auf die Besatzungszeit von der damaligen nationalen Stimmung in Worms. Stresemann zog in seinem Gratulationsschreiben eine Verbindung von seiner Politik seit 1923, die über London und Locarno zu der endgültigen Befreiung des Rheinlandes führen werde. Er schrieb: „Die Freiheit des ganzen Rheinlandes im Rahmen des deutschen Vaterlandes ist nicht mehr eine Frage des Ob, sondern nur mehr eine Frage des Wann. Allen Deutschen an Rhein und Ruhr, die durch ihre Treue und Standhaftigkeit an diesem Werke Mithilfe geleistet haben, gebührt […] der Dank des Vaterlandes.“[Anm. 5]

    8.2 Die wirtschaftliche Lage in der Stadt Worms und in den Heylschen Lederwerken Liebenau 1924/25

    Frauen in der Zurichterei und Bügelstube der Heyl'schen Werke Liebenau AG, 18.4.1926[Bild: Füller, StA Worms 07095]

    Aus einem von der Hessischen Industrie- und Handelskammer Worms an den Oberbürgermeister gerichteten Bericht zur wirtschaftlichen Lage erfahren wir, welche Maßnahmen die Kammer Ende 1925 zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der örtlichen Betriebe für angemessen hielt.[Anm. 6] Die IHK schlug vor, die den Betrieben auferlegte Steuer- und Abgabenlast zu reduzieren, u.a. durch die Verkleinerung des Verwaltungsapparats in Reich, Ländern und Gemeinden. Die Gesetzgebung müsse vereinfacht werden, alle Ausgaben der genannten Körperschaften durch entsprechende Einnahmen gedeckt sein. Die Bildung von Rücklagen sollte in Zukunft entfallen. Wegen des hohen Kapitalmangels der Betriebe seien die Kreditzinsen zu senken. Zur Erleichterung des Außenhandels wurde der Abschluss von günstigen Handelsverträgen vorgeschlagen. Eine Flexibilisierung der Arbeitszeit sei anzustreben, ebenso wirke sich der „Tarifzwang“ negativ aus. Zuletzt empfahl die Kammer eine bessere Ausbildung der Arbeiter und Angestellten sowie die Beendigung der Zwangsbewirtschaftung des Wohnraums, um das Baugewerbe zu beleben. In der Wormser Volkszeitung vom 22. März 1924 beschwerte sich ein Leser über den „kolossalen Anstieg von Amtmannstellen“ in der Wormser Stadtverwaltung. Die Empörung über die Aufblähung des Wormser Beamtenapparats brach sich auch in einem Leserbrief in der Wormser Zeitung vom 18. März 1924 Bahn, der mit „Viele Gerechtigkeitsliebende“ unterzeichnet war.[Anm. 7]

    Nach der großen Inflation machten auch die Heylschen Lederwerke Liebenau am Ende des Geschäftsjahres 1923/24 in ihrem Geschäftslage-Bericht vom 5. September 1924 deutlich, wie die Wettbewerbsfähigkeit des Betriebs wiederzuerlangen sei.[Anm. 8] Die ersten neun Monate des vergangenen Geschäftsjahres würden als die schlimmsten in der Nachkriegszeit „ewig im Gedächtnis bleiben“. Da die Lederindustrie kapitalintensiv sei, die knappen zur Verfügung stehenden Geldmittel bis Juli 1924 aber kaum ausreichten, um genügend Rohware einzukaufen, gelang es erst danach, durch günstigere Kreditbedingungen Kapital zu beschaffen, um das Geschäft wieder in Gang zu setzen. Gleichzeitig stellte man fest, dass die Produktionskosten für das Hauptprodukt der Lederwerke, das schwarze Chevreauxleder („Nibelungkid“) gegenüber der Vorkriegszeit auf das Doppelte angestiegen seien. Während der Inflationszeit spielten die Herstellungskosten aufgrund der großen Geldentwertung kaum eine Rolle, jetzt aber musste aufs Schärfste kalkuliert und die Arbeitsproduktivität erhöht werden. Kostensenkungen, Abbau von Arbeitsplätzen und Rationalisierung von Betriebsabläufen waren die dazu erforderlichen Maßnahmen. Ohnehin sei die Arbeitsproduktivität in vergleichbaren amerikanischen Lederfabriken sehr viel höher, wie die Wormser Direktoren errechnet hatten. Man zog folgende Konsequenzen: Der sogenannte „Grane-Betrieb“, d.h. die Verarbeitung von Rosshäuten, wurde gänzlich eingestellt. Der sogenannte „Burgund-Betrieb“ (die Verarbeitung von Rehfellen) fiel ebenfalls weg, da er einen knapp 30-prozentigen Verlust einbrachte. Das zu große Warensortiment mit vielen „Sonderwahlen“ gestaltete sich unübersichtlich, zu kompliziert und zu kostenintensiv. Die Firmenleitung plante, die Produktion des Chevreauxleders auszuweiten, da aber diese Ware als Modeprodukt galt, war ihr Absatz starken Schwankungen unterworfen. Man entschied, verstärkt Handschuh-, Portefeuille-, Möbel- und Triebriemenleder zu produzieren.

    Um die Betriebskosten entscheidend zu senken, musste Personal abgebaut werden. In einer Besprechung Ludwig von Heyls mit seinen Direktoren wurde errechnet, dass „im allgemeinen Bereich“ 160 Arbeiter, 13 Hofarbeiter, 26 Handwerker, ferner vier Meister und etliche Aufseher entbehrlich waren.[Anm. 9] Allerdings entließ die Leitung der Lederwerke Liebenau keineswegs leichtfertig Mitarbeiter, denn ein Bericht vom 3. Oktober 1924 wies aus, dass von den 160 geplanten nur 117 Arbeiter freigestellt wurden.[Anm. 10] Man teilte die Arbeiter in Gruppen ein und unterschied u.a. Ledige, vor und nach 1921 eingestellte, Verheiratete „ohne Anhang“ bzw. mit einem Kind, mit zwei, drei oder mehr Kindern. Die Entlassungen wurden also nach sozialen Kriterien vorgenommen. Die Firmenleitung versuchte z.B. einen kaum arbeitsfähigen Kriegsbeschädigten dadurch weiter zu beschäftigen, dass er die Beschriftung der über 800 Lohnbeutel übernahm. Weitere Überlegungen führten dazu, sowohl in den „Wohlfahrtsanstalten“ (Konsumanstalt, Kasino und Küche, Gemüsegärten und Weinberge der Firma) als auch im Verwaltungsbereich (Krankenkasse, Lohnbüro, Telefonzentrale, Druckerei) Mitarbeiter einzusparen.[Anm. 11] Nach einer Aufstellung wurden im kaufmännischen Bereich insgesamt 14 Angestellte entlassen.[Anm. 12]

    Zusammenfassend kann man feststellen, dass nach der Währungsstabilisierung vom November 1923 die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Wormser Heylschen Lederwerke Liebenau erst recht hervortraten, denn im Jahr 1924 mussten dort zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt harte Einschnitte vollzogen werden: Mitarbeiter wurden entlassen und Betriebsabläufe rationalisiert. Eine Reihe von hochverzinslichen Krediten mussten zurückgezahlt werden. Nach der Inflation war dann die Weltwirtschaftskrise ab 1929 für die Heylschen Lederwerke „die zweite existenzbedrohende Krise innerhalb weniger Jahre.“[Anm. 13]

    Anmerkungen:

    1. Poidevin/Bariéty, Frankreich und Deutschland, S. 341-355. Zurück
    2. Winkler, Geschichte des Westens, S. 491f. Zurück
    3. Poidevin/Bariéty, S. 352f. Zurück
    4. Jahr, Locarno und die deutsche Innenpolitik (2007), S. 111-118, hier: S.116. Zurück
    5. 150 Jahre Wormser Zeitung, S. 28. Zurück
    6. StadtAWo Abt. 5 Nr. 5569. Zurück
    7. Wormser Volkszeitung (WVZ) Nr. 70 vom 22.03.1924 und WZ vom 18.03.1924, beide Leserbriefe in: StadtAWo Abt. 180/1 Nr. 173. Zurück
    8. StadtAWo Abt. 180/1 Nr. 173. Elfseitiger Geschäftsbericht vom 05.09.1924. Zurück
    9. Ebd., Besprechung 30.09.1924. Zurück
    10. Ebd., Bericht vom 03.10.1924. Zurück
    11. Ebd., Bericht vom 25.09.1924. Zurück
    12. Ebd., Aufstellung von Direktor Maus vom 29.09.1924. Zurück
    13. Hartmann, Die Heyl`schen Lederwerke Liebenau, S. 85. Zurück