Erster Weltkrieg und
    Besatzung 1918-1930
    in Rheinland-Pfalz

    1.4 Zum Begriff der Fremdwahrnehmung

    Ärmelabzeichen der in Neuwied stationierten sogenannten 2. Indianerkopf-Division [Bild: Kreismedienzentrum Neuwied - Sammlung Kupfer]

    Um die Wahrnehmung von Fremden hier anschaulich zu erklären wird das folgende Beispiel angeführt: Im Disneyfilm »Pocahontas« aus dem Jahr 1995 singen sich Indianer und britische Kolonisten gleichzeitig, in Vorbereitung auf den Kampf gegeneinander, mit dem überspitzten Lied „Wilde sind‘s“ in Rage. Beide Seiten sind sich jeweils fremd und hegen Vorurteile gegeneinander. So singen die Kolonisten:

    „Was erwartet ihr von schmutz’gen kleinen Heiden? / Wer gottlos ist, der ist mir garnicht recht. / Die Haut ist teuflisch rot. / Am besten wär’n sie tot. / Die Würmer sind verrucht und schlecht. / Ja, Wilde sind’s! Wilde sind’s! / Menschliches vermisst man! / Wilde sind’s! Wilds sind’s! / Jagd sie bis zum Sieg! / Sie sind nicht so wie wir, / das heißt dann sind sie böse! / Trommeln schlagen für den Krieg! […]“[Anm. 1]

    Demgegenüber die Indianer:

    „Dies sah’n wir voraus: /Das Bleichgesicht ist teuflisch. / Nur ein Gefühl sie alle eint: Die Gier! / Das milchige Gesicht verbirgt die Leere nicht. / Und haben sie wohl Blut wie wir? / Ja, Wilde sind’s! Wilde sind’s! / Menschliches vermisst man! / Wilde sind’s! Wilde sind’s! / Mordet bis zum Sieg! / Ist keiner so wie wir, / das heißt habt kein Vertrauen! / Trommeln schlagen für den Krieg! […]“[Anm. 2]

    Anhand dieses Beispiels lässt sich verdeutlichen, was die Wahrnehmung von Fremden und die in dieser Arbeit unter besonderer Berücksichtigung stehende Wahrnehmung des Befremdlichen am Fremden sowie die Begegnung mit Fremden ausmacht. An dieser Stelle wird auf das Werk „Die Begegnung mit Fremden und das Geschichtsbewusstsein“ hingewiesen, auf das sich auch im Folgenden bezogen wird.[Anm. 3] Diesem Werk nach bilden Gesellschaften ihre eigenen Identitäten und Abgrenzungen aus. In der ersten Hälfte des 20. Jhs. war der Fremde vor allem der Nationalfremde, Ethnischfremde oder Religiösfremde; wobei es durchaus Überschneidungen gab. In der Begegnung mit Fremden werden damals wie heute die eigene Identität und die eigenen Wertevorstellungen infrage gestellt.[Anm. 4] Gleichzeitig vollzieht sich eine Selbstbeobachtung, anhand derer zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern der eigenen Gruppe sowohl unterschieden als auch Bedingungen für die Mitgliedschaft oder den Ausschluss aufgestellt werden.[Anm. 5] Diese gestalten sich zwar individuell, doch das Vertraute am Gegenüber ist meist eine dieser Mitgliedsbedingungen. Fremdartigkeit verdeckt zunächst das Vertraute, was im Umkehrschluss bedeuten kann, dass Begegnung zunehmend Fremdartigkeit und die damit einhergehenden Vorurteile abbaut.[Anm. 6] Bei dieser Unterscheidung zwischen Vertrautheit und Fremdheit stellen sich die Fragen, wer fremd ist und besonders was fremd am Fremden ist. Dabei sind die Wahrnehmungsorgane Augen, Ohren und Nase für die grundsätzliche (Fremd-)Wahrnehmung verantwortlich, d.h. die Wahrnehmung nach Aussehen, Geruch und (Aus-)Sprache des Fremden, bei der schon Fremdartigkeit wahrgenommen wird. Darauf aufbauend folgt das Wahrnehmen des Befremdlichen am Fremden, also Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Ansichten, die aus Sicht der eigenen Gruppe ungewöhnlich bzw. befremdlich oder gar, wie im Beispiel verdeutlicht, bedrohlich wirken.[Anm. 7] Hierauf soll in den folgenden Kapiteln besonders Bezug genommen werden. Wie deutlich wird, nahmen Amerikaner und Deutsche sich unterschiedlich war. Des Weiteren lässt sich erkennen, dass diese Wahrnehmung zum Teil ganz individuell war, jedoch auch eine große Gruppe in etwa die gleiche Wahrnehmung bezüglich des fremden Gegenübers vertreten konnte.

    Anmerkungen:

    1. Pocahontas: Eine indianische Legende. R.: Mike Gabriel [u.a.]. Drehbuch: Carl Binder [u.a.]. USA: Walt Disney Pictures 1995. Fassung: DVD. Walt Disney Pictures 2005.  81 Minuten, TC: 01:01:16-01:01:41. Zurück
    2. Ebd., TC: 01:01:53-01:02:19. Zurück
    3. Diese Arbeit orientiert sich an den in Beckers Werk beschriebenen Methoden, vgl. Becker, Judith [u.a.] (Hg.): Die Begegnung mit Fremden und das Geschichtsbewusstsein. Göttingen 2012 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd. 88). Zurück
    4. Vgl. Becker, Judith: Einleitung. In: Becker, Judith [u.a.] (Hg.): Die Begegnung mit Fremden und das Geschichtsbewusstsein. Göttingen 2012 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd. 88), S. 7-14, hier S. 8-6. Zurück
    5. Vgl. Stichweh, Rudolf: Die Begegnung mit Fremden und die Selbstbeobachtung von Gesellschaften. In: Becker, Judith [u.a.] (Hg.): Die Begegnung mit Fremden und das Geschichtsbewusstsein. Göttingen 2012 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd. 88), S. 15-26, hier S. 18f. Zurück
    6. Vgl. Sundermeier, Theo: Die Begegnung mit Fremden. Plädoyer für eine Hermeneutik des Vertrauens. In: Becker, Judith [u.a.] (Hg.): Die Begegnung mit Fremden und das Geschichtsbewusstsein. Göttingen 2012 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Bd. 88), S. 27-40, hier S. 29. Zurück
    7. Vgl. Ebd., S. 28. Zurück