Erster Weltkrieg und
    Besatzung 1918-1930
    in Rheinland-Pfalz

    2.3 Die deutsche Wahrnehmung der amerikanischen Besatzer

    US-Besatzungssoldaten in Neuwied, April 1919[Bild: Naval History and Heritage Command [gemeinfrei]]

    Um die amerikanische Wahrnehmung der Deutschen nachvollziehen zu können, ist es notwendig auch die gegenüber stehende deutsche Wahrnehmung zu betrachten. Dies kann in dieser Arbeit leider nur unzureichend geschehen, da eine detailliertere Untersuchung den Rahmen der Arbeit überschreiten würde.

    Beim Einzug der Besatzungstruppen fiel der Bevölkerung zunächst die offensichtliche Fremd- bzw. Andersartigkeit der Soldaten auf.[Anm. 1] Wie schon beschrieben, waren die Einheimischen froh, auf größtenteils disziplinierte Verbände zu treffen, die nicht plünderten oder sie drangsalierten. Außerdem erkannten sie die Soldaten nun als menschlich. Im Vergleich zu den geschlagenen deutschen Soldaten, wirkten sie sogar zivilisiert und nicht wie ihnen die Kriegspropaganda zuvor eingebläut hatte, als ungehobelte Wilde.[Anm. 2]

    Wie Kentenich und Boas eindringlich beschreiben, störten sich die Einheimischen an den einquartierten Amerikanern und deren Gewohnheiten, so z.B. das als ekelhaft empfundene Kaugummikauen, der auftretenden Trunksucht oder der in deutschen Augen verantwortungslose Fahrweise bei gleichzeitig erheblicher Zunahme des amerikanischen Auto- und Motorradverkehrs.[Anm. 3] Auch die angebliche Verschwendung von ohnehin knappen Ressourcen sorgte für Unverständnis.[Anm. 4]Des Weiteren wurde die amerikanische Besessenheit für Souvenirs aus Deutschland teils belächelt, teils verurteilt.[Anm. 5] Dazu kam die zunächst harsche Besatzungspolitik mit einschränkenden Anordnungen, wie der Beschneidung des Versammlungsrechts, der Pressezensur, des Verbrüderungsverbot oder der harten, teils unfair scheinenden Verfahrensweise amerikanischer Gerichte.[Anm. 6] Doch auch Kentenich gibt an, dass die Notleidenden in der Bevölkerung besonders auf ihre nächste Umgebung fokussiert waren und daher die allgegenwärtigen Amerikaner als Urheber dieser Not sahen.[Anm. 7]

    Die Anti-Fraternisation-Order wurde auch auf deutscher Seite diskutiert: Anfänglich missverstanden die Deutschen das distanzierte Verhalten als für sie schmerzlichen Ausdruck der Überlegenheit der amerikanischen Besatzer. Doch bald wurde ihnen klar, dass es sich dabei weniger um deren Ansichten, als um einen Befehl ihrer Militärführung handelte, dem die Soldaten Folge zu leisten hatten.[Anm. 8] Wie bereits erörtert, war die Order zunächst nützlich, um Reibereien zwischen Besatzern und Besetzten zu vermeiden und emotionalen Kontakt zu verhindern, jedoch führte die Abschottung der Armee zu einer Förderung des Misstrauens, besonders bei jenen Deutschen, die nicht erzwungenermaßen mit Amerikanern zusammenlebten.[Anm. 9] Die Hintergründe romantischer Beziehungen wurden zuvor bereits diskutiert. Daher ist es hier angebracht, auf die diesbezügliche Wahrnehmung der übrigen Deutschen einzugehen: Im Allgemeinen wird in der Forschung dargelegt, dass, ähnlich wie auf amerikanischer Seite, solche Beziehungen ablehnend gegenübergestanden wurde.[Anm. 10] Wie Boas schildert, sahen besonders deutsche Männer die amerikanischen Soldaten als Rivalen. Demnach kam es wiederholt zu gewaltsamen Übergriffen auf Doughboys.[Anm. 11]

    Personalnotizen über einen festgenommenen Neuwieder Bürger, angefertigt von einem amerikanischen Gerichtsoffizier für bürgerliche Angelegenheiten, Neuwied 1921
    [Bild: Kreismedienzentrum Neuwied]

    Diesen Ansichten gegenüber stand das Bild der Besatzer, die zwar eine Belastung für die Bevölkerung bedeuteten, gleichzeitig aber für Ruhe und Ordnung sorgten, den zum Teil verhassten Bolschewismus aus der Zone fernhielten und die Bevölkerung versorgten.[Anm. 12] Dazu kam das zunehmende Verständnis beider Seiten füreinander und die daraus resultierenden freundlichen Beziehungen.[Anm. 13] Außerdem wirkten die US-Truppen den Machtansprüchen der Franzosen entgegen, was ihnen zusätzliche Sympathie entgegenbrachte; generell war die Bevölkerung mit der amerikanischen Besatzung erheblich zufriedener als mit der nachfolgenden französischen.[Anm. 14]

    In der schon zuvor genannten Forschungsliteratur ist man sich weitgehend einig über die zu jener Zeit vorherrschende Meinung der Deutschen. Aus dem wissenschaftlichen Diskurs wird ersichtlich, dass sich die deutsche Wahrnehmung der Amerikaner prinzipiell in zwei Kategorien einteilen lässt: Zum einen werden diejenigen Amerikaner genannt, die in ihrem Umgang negativ auffielen, die als Belastung empfunden wurden oder einen, von deutscher Seite aus gesehen, schlechten Einfluss ausübten, zum anderen jene Amerikaner, mit denen man (teils notgedrungen) auskam, die sich angemessen verhielten und zu denen sich freundliche Beziehungen entwickelten. Dazu kam die spürbare amerikanische Besatzungspolitik, die das Leben in der Zone beiderseits beeinflusste.

    Anmerkungen:

    1. Edward Inman berichtet, dass die Deutschen, auf die sie trafen überrascht waren, wie jung die Soldaten waren. Des Weiteren kam es ihnen seltsam vor, dass amerikanische Soldaten anscheinend keine Schnurrbärte trugen; ganz im Gegensatz zu deutschen oder französischen Soldaten, bei denen der Schnurrbart angeblich als soldatisches Merkmal galt, vgl. Inman Greenman-Clawson, Eintrag vom 06. Dezember 1918 (Abgerufen 21.03.15, 11:07 UTC). Zurück
    2. Wie schon beschrieben, gab es auch Ausnahmen. Doch besonders der Vergleich zu anderen Besatzungszonen und entsprechend anderer, härterer Besatzungspolitik führte den Deutschen vor Augen, dass sie es mit den vergleichsweise gemäßigten Amerikanern gut getroffen hatten, vgl. Barnes, S. 57, 82; Kentenich, S. 27f; Smith, S. 204. Zurück
    3. Vgl. Boas, S. 552f; Kentenich, S. 30. Zurück
    4. Die Rheinisch-Westfälische Zeitung prangerte in einem Artikel das „kriminelle“ Ausmaß der Verschwendung von Öl und Fett in amerikanischen Küchen an, vgl. Nelson, S. 60; Deutsche Hotelbesitzer klagten darüber, dass einquartierte Amerikaner häufig das Licht brennen ließen und sie vergleichsweise mehr Strom und Wasser an einem Tag verbrauchten als Deutsche in einer Woche, vgl. Barnes, S. 100. Zurück
    5. Besonders verarmte Deutsche empörten sich darüber, dass die Amerikaner mit ihren wertvollen Dollars sorglos Geschäfte leerkauften, während sich gleichzeitig in der Bevölkerung Elend ausbreitete. Kentenich beschreibt abseits des unbedachten Kaufs aller Arten von Souvenirs auch, wie Doughboys Deutsche bestahlen und beispielsweise im Schloss Montabaur die Tapeten von den Wänden rissen und mitnahmen, vgl. Kentenich, S. 35. Zurück
    6. Vgl. Barnes, S. 51f; Kentenich, S. 32; Nelson, S. 37f. Zurück
    7. Vgl. Kentenich, S. 30. Zurück
    8. Vgl. Nelson, S. 50. Zurück
    9. Vgl. Kuhlman, S. 1078f; Nelson, S. 50. Zurück
    10. Vgl. Barnes, S. 217; Kuhlman, S. 1089-1091; Smith, S. 207. Zurück
    11. Vgl. Boas, S. 545. Zurück
    12.          Vgl. Nelson, S. 167, 171f; Die Bitburger Zeitung beschrieb die Doughboys in der Zone diesbezüglich als Repräsentanten amerikanischer Stärke, die zwar strenge Anordnungen durchsetzen mussten, sich ansonsten aber gut und freundlich benahmen, vgl. Nelson, S. 51. Zurück
    13. Vgl. Nelson, S. 171; War erst einmal Kontakt aufgebaut, waren die Doughboys, laut Nelson, für die Deutschen wie gern zu habende erwachsene Kinder mit viel Geld in den Taschen, vgl. Nelson, S. 171. Zurück
    14. Vgl. Barnes, S. 13, 42; Kuhlman, S. 1086; Nelson, S. 150; Steiner, S. 92; Zum Einzug französischer Kolonialtruppen ins zuvor amerikanisch besetzte Trier schreibt Kentenich: „Diese schwarzen, braunen, gelben Halbwilden […] sollen uns also Kultur und Gesittung bringen. Im Vergleich zu ihnen waren die ewig kauenden und spuckenden Amerikaner wahre Idealisten.“, Kentenich, S. 44. Zurück