Erster Weltkrieg und
    Besatzung 1918-1930
    in Rheinland-Pfalz

    2.2.2 Die amerikanische Wahrnehmung auf Offiziers- und Führungsebene

    Oberbefehlshaber Henry T. Allen (Mitte) neben zwei Offizieren, 1919[Bild: Bain News Service (1919) [gemeinfrei]]

    In diesem Kapitel wird untersucht, wie die amerikanische Führung in der amerikanischen Zone die Deutschen wahrnahm und wie sich auch hier ggf. Beziehungen entwickelten. Besonderen Bezug wird dabei auf die Tagebuchaufzeichnungen des kommandierenden Besatzungsgenerals Henry T. Allen genommen. Gleichzeitig wird kurz beschrieben, wie die Amerikaner ihre Zone verwalteten und welche Probleme dabei auftraten.

    Major General Henry Tureman Allen übernahm am 8. Juli 1919 den Oberbefehl über die neu aufgestellte AFG und war gleichzeitig Mitglied in der »Interalliierten Rheinlandkommission«, die sich zonenübergreifend mit Besatzungsfragen befasste.[Anm. 1] Als früherer amerikanischer Militärattaché am russischen Zarenhof, zeitweiliger Gouverneur der Philippineninsel Leyte und erfahrener Veteran verschiedener Kriege und Feldzüge, u.a. der Kämpfe in Frankreich gegen die Deutschen, war der in Militär-, Besatzungs- und Diplomatiefragen bewanderte General Allen bei seiner Kommandoübernahme laut Cornebise „the right man in the right place“[Anm. 2] In seinem von vorne herein zur Veröffentlichung bestimmten Rheinland-Tagebuch beschreibt Allen in beinahe täglichen Einträgen seine Tätigkeit in Europa, beginnend mit der Teilnahme an Kämpfen gegen deutsche Truppen bis hin zur Besatzungszeit und seinem Dienst als Befehlshaber der AFG. Seine Einträge schrieb er zwar kritisch, jedoch so weit wie möglich objektiv im Hinblick darauf, dass sich bei der Veröffentlichung die genannten und teils noch im entsprechenden Amt befindlichen Personen nicht beleidigt bzw. bloßgestellt fühlen sollten. Im Gegensatz zu Inmans Aussagen, sind Allens Bemerkungen weniger harsch und gefühlsbelastet und werden hier deshalb kaum exemplarisch zitiert. Dennoch geben Allens Aufzeichnungen Erkenntnisse über seine Wahrnehmung der Deutschen preis.[Anm. 3]

    In der am Rhein gelegenen, ehemaligen Garnisonsstadt Koblenz errichteten die Amerikaner den Kommando- und Verwaltungssitz ihrer Besatzungszone. Die Festung Ehrenbreitstein, die gegenüber der Stadt auf einem Bergsporn thronte, bot einen Ausgangspunkt für die Überwachung der Zone sowie zahlreiche Unterbringungsmöglichkeiten für die amerikanischen Soldaten. In Koblenz selbst war schon vor dem Krieg ein preußischer Verwaltungssitz eingerichtet worden und während des Krieges waren dort Teile der deutschen Heeresverwaltung stationiert.[Anm. 4] Aus diesem Grund wurde veranlasst, eng mit der deutschen Lokalverwaltung zusammenzuarbeiten, da diese sich einerseits am besten mit den Gegebenheiten vor Ort auskannte und man andererseits die bereits vorhandenen Strukturen nutzen wollte.[Anm. 5] Die amerikanische Militärführung unter ihrem Oberbefehlshaber General Pershing zeigte sich, trotz gewisser Vorbehalte gegenüber den Deutschen, in diesem Punkt weitsichtig. Andersherum nahm man an, dass die lokalen deutschen Beamten und Politiker in ihren Ansichten eng mit der Zentralregierung in Berlin verknüpft waren und vermutete daher zunächst, dass mit den Deutschen nicht effektiv kooperiert werden konnte. Nach anfänglicher Skepsis zeigte sich jedoch, wie die preußisch-korrekten Beamten weniger politisch indoktriniert waren als vielmehr Disziplin und Effizienz bei den ihnen übertragenen Aufgaben an den Tag legten. Gleichzeitig wirkten die Amerikaner Unruhe stiftenden Strömungen von Separatisten und Bolschewisten entgegen, indem sie derart Verdächtige der Besatzungszone verwiesen, im Gegenzug aber die, noch der Monarchie nachhängenden, Beamten im Amt beließen.[Anm. 6] Boas schreibt zur amerikanischen Wahrnehmung auf jener Verwaltungsebene, dass die dort zuständigen Amerikaner ihre deutschen Kollegen zwar für effizient aber gleichzeitig für überaus hart und herzlos hielten. Grund dafür war das ständige Verhängen von höchsten Geldstrafen für deutsche Verbrecher, selbst bei kleinsten Vergehen innerhalb der Zone. Wie auch auf anderen Ebenen, war diese Annahme nicht ganz richtig: Es stellte sich heraus, dass deutsche Beamte nur notgedrungen solch drakonische Strafzahlungen verhängten, um von dem eingenommenen Geld den nahezu bankrotten deutschen Verwaltungsapparat in der Zone mitzufinanzieren. Nachdem von der Berliner Regierung der Befehl kam, derartiges Geld nun zur Deckung der amerikanischen Besatzungskosten zu verwenden, nahm die Verhängung solcher Strafen rapide ab und den Amerikanern wurde plötzlich der Sinn hinter der deutschen Härte bewusst.[Anm. 7]

    An dieser Stelle ist auch ein Vergleich zwischen den Beschreibungen Boas‘ und Nelsons angebracht: Während Boas von einer zwischenmenschlich miserablen aber notwendigen Zusammenarbeit spricht und sich dabei auf die offene Rivalität eines amerikanischen Offiziers mit einem deutschen Bürgermeister um die Machtausübung im Ort, bei gegenseitiger Behinderung der Arbeit, bezieht, berichten Nelson und auch Barnes im allgemeinen von einem guten Verhältnis zu deutschen Behörden und Entscheidungsträgern. Demnach kooperierten viele Deutsche aber auch nur, um ihre eigene Sicherheit und Stellung zu wahren und dabei stand die gute Beziehung im Vordergrund zur Funktionalität.[Anm. 8] General Allen betrieb, seiner Auffassung nach, auf seiner Entscheidungsebene mit deutschen Kollegen eine ähnlich kooperative Politik, indem er den Deutschen, soweit es ging, freie Hand ließ und versuchte alles so zu arrangieren, dass möglichst keine Missverständnisse oder Streitfragen entstanden.[Anm. 9] Daraus lässt sich ableiten, dass er den Deutschen ein gewisses Maß Vertrauen zugestand. Von Verachtung bzw. Hass auf den vormaligen Kriegsgegner innerhalb dieser Strukturen wird in keiner Darstellung gesprochen. Abneigung entstand demnach höchstens bei direkt auftretenden Diskrepanzen bezüglich der unterschiedlichen Verwaltungsmethoden und Zuständigkeiten. Anhand General Allens Verordnung, wonach alle amerikanischen Offiziere Deutsch lernen sollten und auch den Soldaten über freiwillige Sprachkurse die Möglichkeit gegeben wurde, Deutsch zu lernen, lässt sich ebenfalls die Bereitschaft zur Kooperation mit dem ehemaligen Feind erkennen.[Anm. 10]

    Das Hotel Hohenzollern – „Uncle Sams Hotel Theatre“ – diente den Amerikanern als Quartier und Theater, um 1919/20[Bild: Kreismedienzentrum Neuwied]

    Wie bereits erläutert, konnten nicht alle Angehörigen der Besatzungsarmee in Militärgebäuden untergebracht werden, sondern mussten bei Deutschen einquartiert werden. Für die Offiziere galt dies ebenfalls. Doch anders als bei den einfachen Soldaten wurde versucht, die Offiziere in Hotels oder in ausreichend großen deutschen Häusern bzw. Wohnungen, in denen dann eigene Zimmer bezogen werden konnten, unterzubringen.[Anm. 11] Hier sollte eine Unterscheidung nach höherem und niedrigerem Dienstgrad vorgenommen werden, denn es gibt durchaus Berichte, die besagen, dass Offiziere auch direkt in die deutschen Wohngemeinschaften eingebunden wurden und wie ihre Soldaten dort schliefen, wo gerade Platz war. Abgesehen von Breuckmann, nimmt man in der Forschung aber gemeinhin an, die Sonderbehandlung der Offiziere wäre vorherrschend gewesen und hätte eine gewisse und von amerikanischer Seite her provozierte Abschottung von der deutschen Bevölkerung bewirkt.[Anm. 12] Dementsprechend hatten sie weniger engen (notgedrungenen) Kontakt zu den Deutschen und bauten ihre Vorurteile ihnen gegenüber auch erheblich langsamer ab bzw. freundliche Beziehungen langsamer auf.[Anm. 13] Ein Eintrag Allens scheint diese These zu stützen. So trifft sich dieser im Juni 1920, also etwa ein Jahr nach seiner Kommandoübernahme, erstmals persönlich mit einem deutschen Beamten. Von früheren Kontakten zu Deutschen, abgesehen von Briefwechsel, ist nicht die Rede.[Anm. 14] Zudem war es gemäß Barnes‘ Darstellung für Offiziere insgesamt schwieriger Beziehungen zu Deutschen aufzubauen, da zunächst noch die Anti-Fraternisation-Order bestand, und fraternisierende Offiziere unter den Soldaten leichter auszumachen waren. Außerdem hatten die Offiziere eine gewisse Vorbildfunktion für ihre Soldaten zu erfüllen und wurden dementsprechend bei Übertretung von Gesetzen und Anordnungen hart bestraft.[Anm. 15]

    Aus Allens Aufzeichnungen wird ersichtlich, dass auch er die Order für unsinnig bzw. undurchführbar hielt und er sie, kurz nach seinem Amtsantritt, am 28. September 1919 aufhob; sehr zur Freude betroffener Amerikaner und Deutscher.[Anm. 16] Allerdings lässt sich allgemein aus Allens Einträgen folgern, dass er in diesem Fall, wie so oft, eher pragmatisch denn gefühlsgeleitet handelte und eingesehen hatte, dass die Anti-Fraternisation-Order einerseits nicht praktikabel umsetzbar war und sie andererseits den Aufbau dauerhaft friedlicher und freundlicher Beziehungen, sowohl auf zwischenmenschlicher, als auch auf weltpolitischer Ebene gefährdete.[Anm. 17] Wie die amerikanische Militärführung, so war auch Allen erstaunt, wie viele Amerikaner tatsächlich eine Ehe mit deutschen Frauen eingehen wollten.[Anm. 18] Allen sah diesen Ehevollzug zwar kritisch, doch anders als viele der Gegner, sah er die Probleme solcher Ehen nicht vom gesellschaftlichen Standpunkt, sondern aus pragmatischer Sicht: Demnach merkt er an, dass die frisch verheirateten Soldaten ihren militärischen Pflichten nicht mehr in ausreichendem Maße nachkommen konnten, besonders wenn sie während der Besatzung schon ein Kind gezeugt hatten und sich um jenes kümmern wollten. Bemerkenswert ist, dass Allen vorschlug, generell nur noch den Soldaten, die mindestens den Rang eines Unteroffiziers innehatten, zu gestatten Deutsche zu heiraten.[Anm. 19] Demzufolge wurde Offizieren, d.h. jenen, die zuvor besonders wenig Kontakt zu Deutschen hatten, nun ein engeres Verhältnis zu ihnen erlaubt. Ausschlag hierfür gab womöglich das schon zuvor beschriebene, zunächst unerhörte Verhalten der ab Sommer 1919 eintreffenden jungen US-Rekruten, demgegenüber die gemäßigten Veteranen wie Kavaliere wirkten.[Anm. 20]

    Ein weiteres Feld, in dem sich die amerikanische Führung wohlwollend gegenüber der deutschen Zivilbevölkerung zeigte, war die Speisung und Beschenkung von Kindern zu Weihnachtsfesten ab 1918 und gleichzeitig die Ernährung der notleidenden Bevölkerung. Die Amerikaner sahen das Elend bei den kriegsgebeutelten Deutschen und veranlassten, wie im voran gegangenen Kapitel schon beschrieben, deren Versorgung mit Lebensmitteln.[Anm. 21] Allen selbst rief deutsch-freundliche Amerikaner dazu auf, Geld für die Lebensmittelversorgung zu spenden.[Anm. 22] Außerdem wurde von ihm im Februar 1925, also nach Abzug der Amerikaner, eine Stiftung zur Versorgung von Kindern in der ehemals amerikanischen Zone eingerichtet.[Anm. 23] Diese Maßnahmen brachten zum Einen den Amerikanern von deutscher Seite großes Lob ein, zum Anderen zeigt diese offensichtliche Anteilnahme, wie dem vormaligen Gegner abseits des notwendigen bzw. notgedrungenen Umgangs miteinander auch im Hinblick auf die Schaffung beständiger, friedlicher Beziehungen hilfsbereit begegnet wurde. Auch General Allen, der die Deutschen zu Anfang für schroff hielt, freute sich über deren Belobigungen und offensichtliche Dankbarkeit.[Anm. 24] Er spricht in seiner Abschiedsrede von „[…] Sympathie für unsere früheren Gegner […]“[Anm. 25] und beschreibt die Betrübnis in den Gesichtern aller Seiten beim endgültigen Abzug der Amerikaner.[Anm. 26]

    Zusammenfassend lässt sich erkennen, dass sich die amerikanische Führungsriege, im Gegensatz zu den Soldaten niederer Ränge zunächst zwar argwöhnischer, aber auch taktvoller den Deutschen gegenüber verhielt. Durch den spärlichen direkten Umgang mit der Bevölkerung veränderte sich die Wahrnehmung auf Kommandoebene langsamer, obwohl ähnlich der Soldatenwahrnehmung auch hier zu beobachten ist, dass sich das Bild des bösen, herzlosen Deutschen mit zunehmendem Kontakt und Verständnis abbaute und ebenfalls ein freundlicheres Bild entstand.

    Anmerkungen:

    1. Vgl. Allen, Henry T.: Mein Rheinland Tagebuch. Berlin ²1923, S.10. Zurück
    2. Cornebise: Der Rhein Entlang, S. 184; Vgl. Barnes, S. 184; Pawley, S. 34f, 82f. Zurück
    3. Für diese Arbeit wurde mit der deutschen Ausgabe Allens Tagebuch gearbeitet. Die englische Originalfassung ist zwar länger, doch ließen sich in Bezug auf Allens Wahrnehmung keine Unterschiede zur deutschen Fassung feststellen. Zurück
    4. Vgl. Golecki, S. 75f; Barnes, S. 8. Zurück
    5. Vgl. Fraenkel, Ernst: Military Occupation and the Rule of Law. London [u.a.], S. 27. Zurück
    6. Vgl. Ebd., S. 28. Zurück
    7. Vgl. Boas, S. 510; Zum Verständnis: In der Regel befasste sich die deutsche Justiz mit deutschen Verbrechern und die amerikanische Militärjustiz mit amerikanischen Verbrechern innerhalb der Besatzungszone. Bei Übergriffen von Amerikanern auf Deutsche oder anders herum, kümmerte sich die amerikanische Justiz um den Fall. In den Augen der Deutschen verhielt sich die amerikanische Führung, sowohl Offiziere als auch die Justiz, ungemein gnädiger gegenüber angeklagten Amerikanern als angeklagten Deutschen. Dies wurde von amerikanischer Seite bestritten, vgl. Barnes, S. 107, 217f; Golecki: Koblenz, S. 78. Zurück
    8. Vgl. Barnes, S. 107; Boas, S. 549; Nelson, S. 36, 48. Zurück
    9. Vgl. Allen, S. 24, 29. Zurück
    10. Vgl. Ebd., S. 36. Zurück
    11. Vgl. Barnes, S. 100. Zurück
    12. Es ist nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien beschlossen wurde, die Offiziere unterzubringen. Auch in der Forschung wird stets nur von „Offizieren“ gesprochen; eine genauere Einteilung z.B. nach Dienstgrad erfolgt nicht, vgl. Breuckmann, S. 72; Inman Greenman-Clawson, Eintrag vom 17. Dezember 1918. (Abgerufen 11.03.15, 11:27 UTC). Zurück
    13. Vgl. Barnes, S. 100; Kentenich, S. 27f; Nelson, S. 50; Smith, S. 207. Zurück
    14. Vgl. Allen, S. 83. Zurück
    15. Vgl. Barnes, S. 107f; Hier sei auf ein Vorkommnis mit einem amerikanischen Offizier hingewiesen, welcher sich in einem deutschen Salon Stücke von Beethoven anhörte und deswegen bestraft wurde. Demgegenüber besuchte General Allen nach Aufhebung der Order deutsche Konzerte und lobte die Deutschen ob ihrer Liebe zu guter Musik, vgl. Allen, S. 36; Nelson, S. 50. Zurück
    16. Vgl. Allen, S. 30. Zurück
    17. Generell wird aus Henry T. Allens Tagebuch deutlich, dass er im Gegensatz zu vielen seiner alliierten Kollegen sehr darauf achtete, ein ausgewogenes, friedliches Verhältnis zwischen allen Parteien zu schaffen und zu erhalten. Beispielsweise beschreibt er sein gutes Verhältnis zu den Franzosen, gleichzeitig ärgerte es ihn ungemein, wie diese beständig und ohne jegliche Rücksicht versuchten, ihre Machtposition auszubauen, die Deutschen zu demütigen und so das fragile Gleichgewicht zwischen den Mächten gefährdeten, vgl. Allen, S. 20, 25, 65, 68. Zurück
    18. Vgl. Allen, S. 40. Zurück
    19. Vgl. Ebd., S. 133; Laut Barnes nahm man an, dass Offiziere entsprechend ihrer herausgehobenen Stellung auch eher in der Lage waren, verantwortungsvoll eine Ehe zu führen und gleichzeitig noch in der Lage waren, pflichtbewusst ihren Militärdienst zu verrichten, vgl. Barnes, S. 228f. Zurück
    20. Vgl. Kentenich, S. 27f. Zurück
    21. Vgl. Barnes, S. 115; Golecki: Koblenz, S. 77; Nelson, S. 43f. Zurück
    22. Vgl. Allen, S. 367. Zurück
    23. Vgl. Steegmans, S. 224. Zurück
    24. Vgl. Allen, S. 3, 344. Zurück
    25. Allen., S. 352. Zurück
    26. Vgl. Ebd., S. 353. Zurück